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Tiger Eye

Titel: Tiger Eye Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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mal was sagen, Mister. Komm nur nicht auf die Idee, wütend auf mich zu sein. Schließlich habe nicht ich dich versklavt oder die letzten zwei Jahrtausende so schlecht wie ein Stück Dreck behandelt. Ich wollte dich nicht mal. Ich würde fast alles tun, um dich davon zu überzeugen, aber he! -Was bedeuten dir meine Worte schon? Offenbar gar nichts.«
    Es war die längste Ansprache, die Hari seit tausend Jahren zu hören bekommen hatte, und er nahm sich einen Moment Zeit, wenn auch mit schlechtem Gewissen, um zu genießen, dass da jemand mit ihm sprach, nicht einfach nur zu ihm.
    Ich kenne nicht mal ihren Namen. Es überraschte Hari, dass er noch zu Neugier fähig war. Nach Namen zu fragen, hatte er schon vor langer Zeit aufgegeben. Ein Meister war wie der andere, manche besser, andere schlechter, aber am Ende waren sie alle gleich. Ob Männer oder Frauen, sie alle wollten Macht. Oder Beute. Jemand, der ihre Kämpfe ausfocht, der das tat, wozu sie nicht den Mut hatten. Dinge, zu denen man Hari über so lange Zeit gezwungen hatte und an die sich zu erinnern er nicht ertrug.
    Aber er erinnerte sich. Albträume plagten ihn, grauenvolle Erinnerungen an Morde, abgeschlachtete Soldaten, schreckliche Verstümmelungen. Diese Schrecken waren der Grund dafür, dass Hari immer voller Wut und Trotz auf einen Ruf erschien. Ein Versprechen des Trotzes.
    Ich bin nicht gebrochen. Du wirst mich niemals brechen.
    Auch diesmal war es nicht anders gewesen. Der lange Schlaf, eingehüllt in undurchsichtigen Bernstein, aus dem er voller Zorn herausbrach...
    »Wie heißt du?«, fragte er ruhig und unterdrückte seinen Ärger.
    Die Frau starrte ihn argwöhnisch an. »Delilah. Aber alle nennen mich Dela.«
    »Delilah.« Er ließ sich ihren Namen auf der Zunge zergehen, schmeckte den Klang der Silben.
    Sie runzelte die Brauen. »Wirst du mich wieder anschreien, wenn ich rede?«
    Hari hob eine Braue. »Ich glaube nicht, dass ich derjenige war, der geschrien hat. Und ich glaube auch nicht, dass du aufhören würdest zu reden, selbst wenn ich meine Stimme erhöbe.«
    Dela wollte etwas sagen, hielt aber inne und seufzte. Sie trat dicht an ihn heran, und Hari wurde sich ihrer deutlichen, weiblichen Kurven sehr bewusst. Ihr berauschender Duft war ebenfalls beunruhigend. Doch er wich nicht vor ihr zurück.
    »Du vertraust mir nicht. Das ist gut. Ich vertraue dir auch nicht wirklich. Ich habe keine Ahnung, wie sich das zwischen uns gestalten soll, aber du bist hier, und ich bin hier und -damit müssen wir uns eben abfinden. Wir werden das Problem schon lösen. Es sei denn... es sei denn, du möchtest in die Schatulle zurückkehren.« Bei diesen Worten verzog sie angewidert den Mund.
    Haris Blick zuckte zu der Schatulle hin, die auf dem großen Bett so winzig wirkte. Dort wartete Dunkelheit auf ihn, der lange Schlaf. Sie hatte ihm diese Frage schon einmal gestellt, und in diesem Augenblick hatte er sie nicht beantworten können. Würde dieses neue Leben schlimmer sein als die Albträume?
    »Nein«, sagte er schließlich. »Ich möchte nicht in die Schatulle zurück.«
    »Dann sind wir aneinander gebunden.« Dela wirkte sichtlich unglücklich. »Du musst wissen, dass ich meine Einsamkeit sehr schätze.«
    »Ich ebenfalls«, erwiderte Hari. Für ihn bedeutete die Gegenwart anderer mittlerweile nur noch Schmerz.
    Aber ich bin es müde, allein zu sein. Der Gedanke schoss ihm ungebeten durch den Kopf und wurde ebenso rasch unterdrückt.
    »Fein. Gut.« Dela rieb sich den Hals, als wäre sie über die Worte, die ihr entschlüpft waren, ebenso erstaunt wie er. Doch er spürte ihre Entschlossenheit, die Kraft, die sie durchströmte, als sie eine Entscheidung traf. Sie richtete ihren Blick auf ihn. Ihre Augen waren von einem azurnen Blau, und so strahlend wie der Morgen. »Ich fasse nur langsam Zutrauen zu Menschen«, erklärte sie offen. »Bitte, missbrauch es nicht.«
    Bitte, missbrauch es nicht.
    Es waren mächtige Worte, trotz ihrer Schlichtheit, zudem mit einer solchen Würde ausgesprochen, dass nur ein Narr sie für eine Bitte gehalten hätte. Die Worte vibrierten durch seinen Körper und flüsterten ein leises Lied, geformt durch ihre Stimme. Unter ihrem Blick verschlug es Hari für einen Moment die Sprache.
    »Ich vertraue anderen ebenfalls nicht leicht«, antwortete er, als er schließlich darauf bauen konnte, dass seine Stimme keine Schwäche verriet. »Aus gutem Grund. Wirst du mich verraten?«
    Sie errötete, aber diesmal war es kein Ärger, der ihre

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