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Tiger Eye

Titel: Tiger Eye Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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hatte gehört, wie Dela die Tür öffnete, schrie, und hatte nicht nachgedacht. Er war einfach aus der Wanne gesprungen und hatte gerade noch gesehen, wie Dela an der Schulter getroffen wurde. Es war ihm gelungen, sie vor einem Sturz zu bewahren, und in diesem Augenblick war ihm aufgefallen, dass sie keinen Befehl ausgesprochen hatte. Er musste sie nicht beschützen.
    Aber ich tue es, dachte er. Die Worte hallten so laut in seinem Kopf wider, dass er nicht wusste, ob er sie nicht laut ausgesprochen hatte. Zum ersten Mal in all den Jahren seiner Einkerkerung hatte er wirklich demjenigen, der ihn rief, helfen wollen. Dieses Verlangen durchströmte ihn wie Feuer und hinterließ in seinem Gefolge eine klare, kalte Wut. Dieser Eindringling hatte Dela verletzt, ihr Leben in Gefahr gebracht. Das konnte nicht toleriert werden.
    Der Rest blieb verschwommen, bis Dela die Handgelenke des Angreifers packte und wie eine wütende Katze fauchend und knurrend kämpfte. Sie hatte zwar keinen Grund, sich in Gefahr zu bringen, was sie aber tat, als ihre bleiche Haut so tödlich nah an die blitzenden Knöchelmesser kam, und das versuchte Hari ihr zu sagen. Er befahl ihr, Abstand zu halten, wegzulaufen. Seine Worte waren jedoch in den Wind gesprochen. Sie schienen keinerlei Wirkung auf Delilah zu haben, und mit einem Schlag begriff er, dass sie ihm helfen wollte. Sie kämpfte, weil sie den Angreifer daran hindern wollte, auf ihn einzustechen.
    Sie weiß es nicht.
    Sie kämpft für mich, verteidigt mich.
    Unerwartet, erschütternd. Taten erzählten Geschichten, die bloße Worte niemals ausdrücken konnten, und angesichts ihres selbstlosen Mutes taumelte er fast.
    Und nach dem Kampf...
    Er wagte einfach nicht zu glauben, dass es die Wirklichkeit war, dass sie so viel riskieren würde, solche verdammenden Worte aussprechen würde, die seine Seele zu überfluten schienen, seine tiefen Wunden aufrissen, seine alten Vermutungen aufbrachen, die in einem Gebräu aus Hass gärten und ihn zu
    zerreißen drohten. Noch vor einer Stunde hätte es ihn nicht gekümmert, ob sie lebte oder starb. Und jetzt...
    Jetzt weiß ich, warum ich sie beschützen musste. Sie ist ein paar Tropfen vergossenen Blutes wert, wenn sie ihre Sicherheit gewährleisten.
    Dela saß auf dem Bett, den Kopf über das Schwert des Angreifers gebeugt, und starrte angestrengt auf etwas, das offenbar nur sie wahrnehmen konnte. Sie zitterte nicht mehr - wenn der Angriff sie auch tiefer erschüttert hatte, als sie zugeben würde. Aber sie war weder in Tränen ausgebrochen noch ohnmächtig geworden. Erwachsene Männer hatten weniger Tapferkeit gezeigt, Männer, denen die Opfer gleichgültig waren, die ihre Sicherheit forderte. Selbstsüchtige, überhebliche Männer, die sich in die Schleier der Göttlichkeit hüllten, der Macht, und Feinde wie Silber anhäuften und damit prahlten, wie viele Menschen auf dieser Welt schon ihren Schatten hassten und fürchteten. Sie luden Meuchelmörder geradezu ein, als ein Wagnis, eine Herausforderung.
    Dela ähnelte ihnen in keiner Weise. Ihre Kraft war ruhig, ein Feuer, das von Mitgefühl gebändigt wurde. Jedenfalls dachte Hari das. Vielleicht würde die Zeit eine andere Geschichte ans Licht bringen, einen Grund, warum selbst sie Feinde hatte, die ihr nach dem Leben trachteten.
    Der Angriff war nicht zufällig erfolgt, das wusste Hari instinktiv. Jemand hatte den Meuchelmörder vorbereitet, und der Mann hatte ganz eindeutig erwartet, Dela wäre allein. Was Hari bereits merkwürdig fand, denn er hatte immer geglaubt, dass nur die weiblichen Gestaltwandler die Freiheit besaßen, allein zu reisen. Seine Sorge um Dela schien ihn zu verspotten; es war ein fremdes Gefühl, eines, das er schon lange vergessen hatte. Einfache Besorgnis um eine Person hatte in sei-
    nem Leben keinen Platz, seit zweitausend Jahren nicht mehr. Wie hätte sich ein Unsterblicher, ein Sklave, auch um jemanden sorgen können? Das Schlimmste, was daraus resultieren konnte, war Schmerz, und davon hatte er so viel erlebt, dass ihn dieses Gefühl nicht mehr ängstigte.
    Trotzdem, er sorgte sich. Nicht um sich selbst, das wurde ihm klar, sondern um Dela.
    Jeder Augenblick, den er in ihrer Nähe verbrachte, band sie fester und enger an seine Sinne - es war eine gefährliche Verbindung, unberechenbar und verwirrend. Er hatte noch nie so viele starke - und wenn er wagte, es zuzugeben: auch leidenschaftliche - Gefühle für einen Meister empfunden.
    Nein, verbesserte sich Hari. Er hatte

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