Tiger Eye
Dinette lächelnd hereinschob, wirkte in keiner Weise bedrohlich, außer, dass er seinen Blick nicht von Haris Narben auf der Brust losreißen konnte. Dieser hatte sich schon vor langer Zeit Unsicherheit abgewöhnt, einfach weil ihn alle anstarrten, wenn sie seine Brust sahen. Dela jedoch fuhr den Mann mit einigen scharfen Worten an, der daraufhin zusammenzuckte und verlegen von einem Fuß auf den anderen trat. Sie drückte ihm ein paar kleine Papierfetzen in die Hand und führte ihn zur Tür.
Dass sie ihn so unerwartet beschützte, erschreckte Hari. Es war ein weiterer Gegensatz zu dem, was er sonst gewohnt war, und er musste sich zusammenreißen, um nicht darüber zu reden und sie auf die Vergeblichkeit ihrer Rücksicht ihm gegenüber hinzuweisen.
Er legte den Dolch auf den Tisch. Warme, würzige Aromen drangen ihm in die Nase, als Dela die silbernen Deckel von ihren Speisen abhob, und einen Augenblick lang fürchtete er, sich wie ein richtiges Tier zu benehmen. Dicke Scheiben Fleisch lagen auf seinem Teller, dazu Gemüse. Verschiedene exotische Früchte waren in einer breiten Schale aufgestapelt. Dela schenkte ihnen Tee ein.
»Greif zu«, sagte sie, als er zögerte. »Du hast seit sechshundert Jahren nichts gegessen. Hau rein!«
Hari war sich zwar nicht sicher, was diese beiden letzten Worte bedeuteten, ihre Absicht war jedoch unmissverständlich. Er nahm ein dampfendes Stück Fleisch mit den Fingern vom Teller und wollte gerade seine Zähne hineinschlagen, als er bemerkte, dass Dela mit feinem Silberbesteck aß.
Sie sah, dass er sie beobachtete, und ihr Blick veränderte sich. Sie legte die Utensilien neben den Teller, nahm ein Stück Gemüse vom Teller und schob es sich in den Mund. Danach leckte sie sich die Finger ab. Ihre Einladung war klar.
»Iss, Hari. Nichts, was du tust, kann mich schockieren.«
Es lief ihm heiß über den Rücken, und sein Magen brannte. Er hatte so viel Zeit allein verbracht, die Träume von einfacher Freundlichkeit unterdrückt, und hier, endlich, traf er eine Frau, die ihm mühelos Mitgefühl entgegenbrachte, und das bei einer so unbedeutenden Sache wie einer Mahlzeit. Er konnte es kaum ertragen.
Hari hatte es nicht beabsichtigt, aber plötzlich strömte ein ganz anderer Hunger durch seine Adern. Er stellte sich Dela vor, nackt und rücklings auf dem Tisch zwischen den Speisen liegend, ihre cremige Haut seinen Händen und seinem Mund dargeboten, ein Genuss für die Sinne, erfüllend, erfüllt werdend, ihre Beine um seine Taille geschlungen...
Dela errötete, und Hari fragte sich einen Moment lang, was sie wohl in seinem Blick sah, ob sein Verlangen so deutlich war. Aber es störte ihn nicht, wenn sie wusste, wie sehr er sie begehrte. Scham hatte er schon lange nicht mehr empfunden. Obwohl er seine Haut verloren hatte, lebte noch das Tier in ihm, und sowohl der Tiger als auch der Mann begehrten diese Frau, mit einer schockierenden, beinah schmerzhaften Heftigkeit.
Sie könnte dich enttäuschen.
Hari setzte sich kurzerhand über seine Furcht hinweg. Er musste sie kosten - er hatte das Gefühl, sterben zu müssen, wenn er sie nicht schmeckte. Mit einem Schritt war er neben ihr und ging auf die Knie. Sie starrte ihn mit aufgerissenen Augen an.
»Ich werde dich küssen.« Er sagte das eher seinetwegen als ihretwegen. Bevor sie protestieren konnte, legte er seine große Hand um ihren. Hals und drückte seine Lippen auf ihren Mund. Er versuchte sanft zu sein, ihr wenigstens diese Höflichkeit zu erweisen, aber sie überraschte ihn, als sie sich gegen ihn lehnte und ihre Lippen öffnete, um den Kuss zu vertiefen. Hari hatte das Gefühl, von Blitzen durchzuckt zu werden.
Sie schob ihre Zunge über seine Lippen, und er nahm ihre Einladung an, raubte ihr fast den Atem, während er sich an sie presste, sie an sich drückte und ihren süßen, heißen Mund erforschte. Er hatte noch nie etwas so Wundervolles gekostet, und die Bestie in ihm reagierte, überschlug sich fast in seiner Brust, als auch sie den Duft und Geschmack der Frau in sich aufsog. Sie war wie Sonnenlicht, das das dunkle Herz des Waldes erhellt. Er fragte sich, ob er sie je wieder loslassen, ob er überhaupt damit aufhören konnte.
Doch er vermochte es, wenngleich auch nur mit größter Mühe, und Dela rückte schließlich von ihm ab. Ihre Augen waren glasig, ihre Lippen von seinen Küssen geschwollen, und ihr Atem kam stoßweise wie die Böen eines Frühlingssturms. Sein Herz hämmerte, während sein Blut
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