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Tiger Eye

Titel: Tiger Eye Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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ihrer Geschichte war schmerzlich deutlich, und Hari konnte es kaum ertragen, sie auch nur anzusehen, während sein Ärger langsam aus ihm herauskroch.
    »Du beschämst mich.«
    »Ich habe auch unfair gespielt.« Dela berührte seinen Arm, strich mit ihren Fingern über seine Haut. »Aber ich schäme mich dessen nicht, vor allem, wenn es dir hilft weiterzumachen. Du hast zweitausend Jahre gelebt, Hari. Was machen da ein paar Jahre mehr aus, vor allem, wenn du jetzt einen Freund hast.«
    »Einen Freund?«
    Dela deutete auf sich. »Wenn jemand einen Freund braucht, dann du. Es sei denn, natürlich, du möchtest es lieber allein ausfechten.«
    »Daran bin ich gewöhnt«, erwiderte er. Es fiel ihm schwer zu sprechen.
    Sie lächelte, und das war einfach zu viel. Schon ihr Kuss hatte eine unglaubliche Wirkung auf ihn gehabt, aber Dela verstand es darüber hinaus, ihn mit ihren Handlungen und Worten auf eine Art zu überwältigen, die ihn schlichtweg erschreckte. Hari war viel, viel größer als sie, doch er wusste, dass ihn diese Frau auch ohne das Band des Fluches in die Knie zwingen konnte, nur mit ihrer Stimme. Mit einem Lächeln.
    Er trat vom Fenster weg und machte Dela Platz.
    »Ich wette, das wirkt alles sehr fremdartig auf dich, richtig?« Als er nicht sofort antwortete, fuhr sie fort. »Du hast mir erzählt, der Fluch könne nur gebrochen werden, wenn du deine Haut findest.«
    Hari seufzte. »Es sind jetzt zweitausend Jahre vergangen, Delilah.«
    »Und, was ist es? Fell?«
    Hari musste lachen. »Nein, kein Fell. Als mir der Magier meine Haut stahl, nahm er mir ein Stück meines Herzens, in der Gestalt meiner Schwester. Um meine Haut zu finden, muss ich zunächst mein Herz wiederfinden, und ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll, da meine ganze Familie jetzt tot ist.«
    »Würde es helfen, wenn du andere deiner Art fändest?«
    »Das bezweifle ich.«
    Dela verzog die Lippen. »Wenigstens müssen wir nicht nach irgendeinem Fetzen vergammelten Fells suchen, das seit zweitausend Jahren in der Erde irgendeines gottverdammten Dschungels verrottet.«
    »Das ist richtig«, erwiderte er trocken.
    Sie lächelte. »Auf alles gibt es eine Antwort, Hari. Auch auf dein Herz.«
    »Und bis dahin?«
    »Bis dahin zeige ich dir diese Welt. Ich bringe dich nach Hause.«
    »Und wenn es keine Antworten gibt?«
    Dela streichelte sein Gesicht. Ihre Fingerspitzen waren kühl und so sanft wie die Berührung von Schmetterlingsflügeln. Er hätte ihre Handfläche gern geküsst. »Dann wirst du leben, Hari. Du wirst leben, mit all der Zeit, die du hast, und das Leben führen, das du dir wünschst.«
    Dela wandte sich von ihm ab, und nun kostete es Hari seine gesamte Willenskraft, nicht seine großen Hände um ihre Taille zu schlingen und sie an sich zu drücken. Er wollte etwas Intimes mit ihr teilen, selbst wenn es nur für einen Moment war. Er hungerte so sehr nach solchen Dingen, nach einer zärtlichen Berührung. Als er sie vorhin geküsst hatte, hatte er gedacht, sie einmal zu schmecken würde genügen. Doch jetzt wurde ihm sein Irrtum klar.
    Sei vorsichtig, flüsterte etwas in seinem Verstand. Aber die Litanei war nicht mächtig genug, um die Gefühle und Begierden zu unterdrücken, die er schon längst für abgestorben ge-halten hatte, und die sich jetzt aus dem Ort befreit hatten, an dem er sie einst begraben hatte. Delas Persönlichkeit hatte ihm den Schlüssel aus dem Gefängnis gegeben. Sie brachte ihn dazu, mehr zu wollen. Durch sie begann er zu glauben, dass Freiheit eine echte Möglichkeit war. Sie weckte den Wunsch in ihm, wieder zu leben.
    Geschichten und Lügen, sagte er sich, aber es kümmerte ihn nicht.
    Wie wunderschön sie ist, dachte er, und seine Zweifel und Ängste fielen von ihm ab, als er zusah, wie Dela in ihren Taschen wühlte. Vielleicht habe ich tatsächlich einen Freund gewonnen.
    *
    Ich verliere hier den Verstand. Dela sah zu, wie Hari im Badezimmer verschwand, um das Bad fortzusetzen, das von dem Angreifer und dem Essen unterbrochen worden war. Er schien schon ganz sauber zu sein, doch Dela vermutete, dass er einfach nur ein bisschen Abstand zwischen sich und sie legen und ihnen ein wenig Platz zum Atmen geben wollte.
    Ihr war das nur recht. Es bot Dela Zeit, über ihre wachsende Verrücktheit nachzudenken, ein erstklassiger Wahnsinn, der einen Kuss plötzlich wichtiger erscheinen ließ als unerklärliche Mordanschläge, magische Schatullen und unsterbliche Gestaltwandler.
    Ich verliere den Verstand, dachte

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