Tiger, Tiger - Fragoso, M: Tiger, Tiger
sein würde, wenn der es auch nur kurz in die Nase bekam.
»Besser gar kein Rasierwasser als ein billiges«, dozierte ich. »Und schneide dich nicht beim Rasieren. Poppa sagt, einem Mann, der keine Rasierklinge ruhig halten kann, ist nicht zu trauen. Er meint, dass jeder, der sich beim Rasieren schneidet, ein nervöser Mensch ist.«
»Ich nehme den elektrischen Rasierer«, sagte Peter vor dem vergoldeten Spiegel.
Mommy rief aus dem Wohnzimmer: »Peter, wenn der Rasierer nicht gründlich rasiert, wird Louie dich nicht respektieren. Achte darauf, dass du keine Bartstoppeln übrig lässt, wenn du ihn triffst. Sonst hält er dich für ungepflegt.«
»Ungepflegt.« Peter schüttelte den Kopf. »Ungepflegt und ungehobelt. Rüpel, alle miteinander. Barbaren. Wilde.«
Ich kicherte.
»Ach, und du musst auf jeden Fall mit Poppa reden«, fügte ich hinzu. »Das ist das Wichtigste. Wir waren mal mit einer Freundin von Mommy und deren Mann essen. Der Mann hat den ganzen Abend fast nichts gesagt, weil er schüchtern war. Als wir nach Hause kamen, machte Poppa sich über ihn lustig. Er nannte ihn immer ›den stummen Fisch‹. Poppa sagt, dass er lieber mit Schinken aus der Dose und Salzstangen zu Hause bleiben würde, als mit einem Menschen in einem Restaurant zu hocken, der kein Wort herausbekommt. Also achte darauf, dass du viel redest!«
***
Für unseren großen Abend trug Mommy ein Glitzer-Shirt mit einem Schneeleoparden, der vor dunkelblauem Hintergrund auf einem Ast ruhte. Ich hatte es für sie ausgesucht. Außerdem hatte sie Lippenstift aufgelegt und Rouge auf den Wangen. Ich hatte nagelneue College-Schuhe, eine weiße Strumpfhose, einen kanariengelben Orlonpulli mit großen schwarzen Blüten und einen schwarzen Minirock an. Dazu hatte auch ich mir die Lippen blassrosa geschminkt und die Fingernägel rosa lackiert – auch wenn Peter sagte, er möge keine Schminke. Nagellack mochte er nur, wenn er abgeblättert war. Ich hatte ihm gesagt, er sei komisch. Mein Haar war ein bisschen länger geworden, so dass ich nicht mehr ganz so hässlich aussah. Doch ich hatte die Hoffnung aufgegeben, jemals wieder schön zu sein; Poppa sprach bereits davon, mich zum Friseur zu schicken. Inès beobachtete, wie ich vor dem Spiegel traurig mein Haar betastete, und bot mir zwei metallene Haarklammern mit Schmetterlingen an, aber mir war klar, dass ich sie nicht annehmen konnte: Poppa wüsste sofort, dass es nicht meine eigenen waren, und würde darauf bestehen, dass ich sie rausnahm, damit ich keine Läuse bekäme.
Gut zwanzig Minuten vor der Verabredung mit Poppa standen wir im Foyer und warteten. »Louies Haar wird dünner, das stört ihn sehr. Deshalb lässt er es lang wachsen und kämmt es über den Kopf«, erklärte Mommy. »Er trägt eine Tolle wie in den Fünfzigern. Wirst du gleich sehen.«
Fünf Minuten zu früh tauchte Poppa in einem flotten schwarzen Anzug auf, die Schuhe frisch gewienert, herausgeputzt mit seiner dicken goldenen Uhr und seinem riesigen Goldkreuz, das vor wertvollen Edelsteinen nur so funkelte. Er roch stark nach Rasierwasser. Als Erstes gab er Peter die Hand; ich sah seinem Gesichtsausdruck an, dass er an diesem Abend eine große Show abziehen würde.
***
Als die Kellnerin kam, bestellte Poppa als Erstes Sake. Der Reiswein wurde in einem weißen Keramikkrug in der Form einer Sanduhr serviert und in kleine runde Becher gegossen, die nicht größer als Puppentassen waren. Sofort bot Poppa Peter etwas an, und ich merkte, dass Peter Angst hatte abzulehnen.
»Vielleicht etwas später«, sagte er nach einer kurzen Pause. »Wenn ich etwas im Magen habe. Sake ist starkes Zeug, meinen Sie nicht? Den haben die Kamikazeflieger getrunken, also muss er ziemlich stark sein.«
»Das Stärkste, was es gibt!«, sagte Poppa zufrieden. »Japanischer Reiswein! Herrlich!« Er schlug eine Stoffserviette auf und band sie meiner Mutter um den Hals. Im Benihana saßen immer acht bis zehn Personen an langen Hibachi-Tischen mit einer Metallplatte in der Mitte, auf der die Speisen zubereitet wurden. Es hatte Poppa noch nie etwas ausgemacht, mit Fremden zusammenzusitzen; meistens kam er schnell mit ihnen ins Gespräch. An diesem Abend konzentrierte er sich jedoch auf Peter. »Ich habe gehört, Sie haben in Korea gekämpft?«
»Ich war nicht im richtigen Kampfeinsatz, nein. Ich habe für die Air Force als Tischler gearbeitet. Ich nehme an, es lag daran, dass ich immer schon Talent hatte, mit den Händen zu arbeiten. Scheinbar
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