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Tiger Unter Der Stadt

Titel: Tiger Unter Der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kilian Leypold
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gekocht, gebraten oder geräuchert, aber bald schon
     stellte sie fest: »Fleisch ist roh noch schmackhafter und auch am bekömmlichsten, wenn ich mich nicht täusche. Eigenartig,
     dass mir das früher nie aufgefallen ist.«
    Sahnetorte war bald das einzige Lebensmittel, das |97| sie außer Fleisch noch fraß. »Die Kartoffeln taugen nichts mehr, sind alle zu trocken, und der Kräuterquark brennt auf der
     Zunge«, behauptete sie. Und weil sie auch kein Brot und keinen Reis mochte, benötigte sie große Mengen Fleisch und Torte.
     Sieben Kilo Fleisch und ein bis zwei Torten pro Tag waren kein Problem für den Tiger. Am Anfang hatten Lippe und Jonas die
     Gefriertruhen ihrer Eltern geplündert – aber das hatte nicht lange gereicht, eigentlich nur für eine einzige Mahlzeit. Und
     Tante Tiger hatte immer Hunger. Ihr Bauchweh war übrigens verschwunden, nachdem sie die ersten Koteletts verschlungen hatte.
     
    Fleisch war wirklich ein Problem. Von ihrem wöchentlichen Taschengeld hätten sie nicht einmal halb so viel Fleisch kaufen
     können, wie Tante Tiger an einem Tag fraß. Lippe schlug vor, eine Kuh zu stehlen: »Das langt leicht für eine Woche, und Knochen
     zum Draufrumbeißen sind dann auch jede Menge dabei.«
    Als das Tante Tiger hörte, war sie außer sich. »Du meinst wohl, dass ich dieses arme Tier ermorde, ihr in den Hals beiße und
     das Fleisch von den Knochen reiße? Das ist ja grauenhaft. Ich würde sterben vor Ekel.«
    Lippes Plan war sowieso undurchführbar. Um die Siedlung herum gab es nur andere Siedlungen, Baustellen und dazwischen Brachland
     oder Kiefernwälder. Kein Kuhschwanz weit und breit. Also brauchten sie Geld.
    |98| Das war auch Tante Tiger klar. »Ihr müsst das Fleisch wie jeder anständige Mensch beim Fleischer kaufen. Ich gebe euch etwas
     Geld.« Und sie beschrieb den beiden eine Schachtel in ihrer Wohnung, die sicher eingekeilt zwischen anderen Schachteln in
     einem Regal in der Küche stand. »Da hab ich etwas zur Seite gelegt. Aber seid sparsam und kauft nicht das Teuerste. Die Kassenzettel
     legt ihr in die Schachtel. Wenn ihr mich beklaut, beiß ich euch die Hand ab!« Lippe wurde kreidebleich, seine Haare schienen
     noch mehr in alle Richtungen abzustehen. »Oh, bitte entschuldigt«, maunzte Tante Tiger sofort. »Hab ich euch erschreckt? Das
     tut mir furchtbar leid. Ähm … das sollte ein kleiner Scherz sein.«
     
    So kamen Jonas und Lippe an Geld, viel Geld, mehrere hundert Euro. Aber Fleisch war teuer. Selbst das abgepackte Fleisch aus
     dem Supermarkt. Einen richtigen Metzger gab es sowieso nicht in der Siedlung; nur diesen einen riesigen Lebensmittelmarkt.
     Lippes Mutter arbeitete dort.
    »Wenn meine Mutter merkt, dass ich sieben Kilo Fleisch kaufe, kriegen wir Riesenärger. Da gibt es keine Ausrede. Und schon
     gar nicht, wenn wir
jeden Tag
sieben Kilo kaufen.« Lippe kniff ein Auge zusammen und zog an seiner großen Lippe. Sie saßen wieder einmal auf der geborstenen
     Tischtennisplatte, ließen die Beine baumeln und zerbrachen sich die Köpfe. Sie hatten nicht mehr viel Zeit. Es war sieben
     Uhr, um acht schloss der Supermarkt und Jonas musste zu |99| Hause sein. Und Tante Tiger hatte Hunger. Jonas dachte nach. Sie müssten einen Strohmann finden, jemanden, der für sie das
     Fleisch kaufen würde. Aber wer würde das tun, ohne dumme Fragen zu stellen?
    »Nase, Nase, Nase!«, schrie Lippe da auf einmal. »Ich hab’s. Dein dummes Gesicht hat mich an den Schweinskopf erinnert. Der
     muss uns helfen.« Jonas runzelte die Stirn. »Du kennst ihn nicht. Egal, gib mir Geld, schnell, ich hol das Fleisch!«
    Mit fünfzig Euro und dem Handwagen verschwand Lippe um die Ecke in Richtung Supermarkt. Jonas blieb auf dem geborstenen Stein
     sitzen. ›Hoffentlich baut Lippe keinen Mist‹, dachte er und blickte hinüber zu den in der Ferne gleißenden Türmen der Stadt.
     
    Zwanzig Minuten später tauchte Lippe wieder auf. Sein dürrer Körper spannte sich unter der Last, die er zog. Beide Taschen
     des Handwagens waren prall gefüllt mit abgepacktem Fleisch aller Art. Jonas staunte und sah seinen Freund misstrauisch an.
     »Ganz schön viel.«
    »Schau mal das Verfallsdatum an«, sagte Lippe und warf ihm eine Styroporschale mit Rinderleber zu.
    »Das ist ja von gestern.«
    »Genau«, sagte Lippe und grinste. »Das liegt heute gar nicht mehr in den Regalen. Deswegen bin ich zum Hintereingang des Supermarkts
     gegangen, und da hab ich Igor getroffen. Er raucht wie ein Schlot

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