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Tigermilch

Tigermilch

Titel: Tigermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie de Velasco
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Anwältin?
    Wenn ich Glück habe, nur fünf Jahre, danach werde ich abgeschoben, direkt vom Gefängnis zum Flughafen, und dann nach Sarajevo.
    Nico schüttelt den Kopf.
    Alter, was soll das?
    Was, sagt Amir.
    Na, das alles, sagt Jameelah, glaubst du, wir sind blöd?
    Wir wissen, dass du unschuldig bist, sage ich leise.
    Gar nichts wisst ihr, sagt Amir.
    Alter, sagt Nico, dass du so was nie hinkriegen würdest, wissen wir, und jeder, der dich ein bisschen kennt, der weiß das auch.
Schuld, Unschuld, sagt Amir und schaut aus dem Fenster, das ist gar nicht so ein großer Unterschied.
    Blödsinn, sage ich.
    Mann, du versaust dir dein ganzes Leben, sagt Nico, in vier Jahren bist du achtzehn, dann hast du eine fette Vorstrafe. Was soll denn da noch aus dir werden? Und dann auch noch Abschiebung.
    Das ist gar nicht so schlimm. Ich will eh nicht mehr in Deutschland leben. Ich kann hier drin MSA machen, wusstet ihr das? Die Lehrerin ist nett, nicht so eine Hexe wie die Struck. Vielleicht kann ich sogar Abi machen und studieren, ich habe überlegt, ich glaube, ich will Arzt werden. Oder halt was mit Fußball, weiß noch nicht so genau.
    Arzt oder was mit Fußball, sagt Jameelah und tippt sich an die Stirn, du sitzt im Knast, kapiert, du kriegst eine Strafe für was, das du nicht getan hast, das ist doch bekloppt.
    Lass mich in Ruhe, sagt Amir.
    Hat Tarik dir diesen Scheiß erzählt, fragt Jameelah, hat er gesagt, dass, wenn du das alles auf dich nimmst, dass du dann der Held der Familie bist und dir alle Türen offen stehen, hat er das gesagt, ja?
    Geh jetzt zu dem da hin, und sag denen einfach die Wahrheit, flüstere ich und zeige auf den in Uniform.
    Hört auf damit, sagt Amir, ich dachte, ihr wolltet mich besuchen.
    Wollen wir auch, aber sollen wir einfach zuschauen, wie du dir dein Leben versaust?
    Was ich mit meinem Leben mache, geht euch gar nichts an, das geht nur mich was an, mich und meine Familie.
    Du bist so was von feige, sagt Jameelah, von wegen Retter der Familie, weißt du, was du bist? Ein kleines Mädchen bist du, genau, wie Tarik immer behauptet hat!
    Hör endlich auf, schreit Amir, immer weißt du, wie es läuft, immer musst du uns allen sagen, was wir machen sollen. Jameelah sagt so und so geht es, so und so ist es, als ob du mehr Ahnung vom Leben hast! Glaub mir, es gibt Dinge, die verstehst du einfach nicht, die sind nicht logisch und trotzdem richtig, aber das wirst du nie kapieren, du hast nämlich gar keine Familie, du weißt doch gar nicht, wie es sich anfühlt, nicht immer nur an sich selbst zu denken!
    Jameelah springt auf, dabei fliegt der Stuhl nach hinten.
    Du kannst mich mal, schreit sie und will zur Tür rennen.
    Du mich auch, sagt Amir, schon lange.
    Hört auf, sagt Nico und packt Jameelah am Arm.
    Einen Scheiß setze ich mich, sagt sie, was weißt du denn schon, Kartoffel? Spielst dich hier auf, als hättest du irgendeine Ahnung von dem, was hier geht. Peinlich ist das!
    Ruhe, ruft der in Uniform, sonst wird der Besuchstermin sofort beendet.
    Nico ballt die eine Hand zur Faust. Flehend schaue ich zu Jameelah. Sie zögert und blickt zur Tür, dann setzt sie sich kopfschüttelnd zurück auf ihren Stuhl.
    Hör zu, sagt Nico und schaut Amir an, wir wollen einfach, dass du dir genau überlegst, was du tust. Familie ist wichtig, aber Jasna war doch auch Familie. Du bist unschuldig, das weiß ich, auch wenn ich es nicht beweisen kann. Aber wenn du den, der das getan hat, schützt, dann machst du dich wirklich strafbar.
    Die Arme vor der Brust verschränkt, schaut Amir aus dem Fenster.
    Sie war gar nicht meine richtige Schwester.
    Wie?
    Nur halb.
    Wie nur halb?
    Sie hatte einen anderen Vater, sagt Amir, ist im Krieg passiert.
    Aha, sagt Nico.
    Die Sonne fällt durchs Fenster, wie im Weltall schweben die kleinen Staubteilchen in der Luft, schwerelos, sorglos so ein Staubkorn, hat sein Leben lang nichts anderes zu tun, als rumzufliegen und Dreck zu machen. Vom Universum aus gesehen, ist die Erde auch nur ein Staubkorn, sagt der Wittner. Wer weiß, denke ich, vielleicht sind die Staubkörner hier im Raum ja auch Planeten und wir Menschen nur zu groß und zu dumm, um das Leben darauf zu erkennen, die vielen Sachen, die dort passieren, das Schlimme und das Schöne, keine Ahnung, so ist das mit der Erde doch auch, was ist die denn schon mehr als ein Staubkorn, ein verfaultes Staubkorn voller Blut und Scheiße, denke ich.
    Was hast du denn, sagt Nico.
    Jameelah kramt in ihrer Hosentasche herum, aber Amir

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