Tijuana Blues
ist ein ernstes Delikt, mein Freund. Es ist gegen die Menschenrechte, wusstest du das nicht?«
Morgado stand auf, ohne sich zu verabschieden. Als er fast an der Tür war, schallte Trinidad Rodríguez’ Stimme durch die ganze Bar. »Weißt du, warum dich noch niemand erschossen hat?«
Morgado ging schweigend weiter.
»Weil noch nicht herum ist, wie viel dein Tod wert ist.«
Morgado betätigte die Drehtür der Bar. Draußen war es dunkel und stickig. Die Last der ganzen Welt ruhte auf seinen Schultern.
11
Der Taxistand befand sich einen Häuserblock weiter die Straße hoch. Morgados Schritte klangen auf dem Kies wie die eines hinkenden Tieres. Die Lichter eines Lieferwagens strahlten ihn eine Sekunde lang an, und eine Staubwolke regnete auf ihn nieder. Trinis Gelächter veranlasste Morgado, langsamer zu gehen, mehr auf der Hut zu sein in diesem schroffen, abschüssigen Terrain. Die Straße war stockdunkel. Das nächste Licht war das vom Taxistand.
»Hallo, Kumpel, eine kleine Spende.«
Die Stimme kam von einem verlassenen Gelände. Ein dicker Junge kam aus der Dunkelheit auf ihn zu, gut gekleidet, einen Cowboyhut auf dem Kopf. Er wirkte nicht wie ein Bettler oder wie ein Mexikaner, den die migra nach Hause geschickt hatte. In seiner rechten Hand trug er eine 357er-Magnum.
»Was willst du? Geld?«
Der Junge zielte auf Morgados Brust. Seine Stimme bekam einen anderen Tonfall. »Mach dir keine Gedanken«, sagte er, »es tut nur weh, wenn du überlebst.«
Ein Schatten kam zwischen sie, und der Junge flog mitsamt seiner Magnum durch die Luft und prallte an die Mauer einer geschlossenen Kneipe. Er fiel zu Boden und hinterließ eine Blutspur auf der Wand. Morgado erkannte die Marke des Motorrades, das seinen Beinahe-Mörder überfahren hatte, und dann erst den Fahrer.
»Entspann dich. Der Mistkerl steht so schnell nicht mehr auf«, sagte Jimmy und untersuchte den Körper des Jungen. »Besoffen über die Straße zu laufen, ist gesundheitsschädlich. Bei der geringsten Unachtsamkeit rennt dich ein Ochse über den Haufen.«
»Er wollte mich umbringen.«
»Offensichtlich, Herr Detektiv.«
Morgado fühlte sich dank Jimmys Humor schon viel besser, während der Biker die Magnum nahm und sie unter sein Hemd schob.
»Ich hab dein Motorrad gar nicht gehört.«
»Ich bin ja nicht blöd. Ich habe euch von oben gesehen und bin nur im Leerlauf runter gefahren. Ein Trick bei den Motorradrallyes. Das war knapp, oder?«
Morgado klopfte Jimmy auf die Schulter. »Danke. Du hast mir das Leben gerettet.«
»Dafür sind wir Cuervos da. Steig auf. Ich lad dich auf ein Gläschen ein.«
Jimmy ließ das Motorrad an und drehte zwei Schleifen, bevor er lospreschte. Eine Polizeistreife schaltete die Sirene an, aber als sie die Harley mit dem Rabenmotiv erkannten, machten sie sie wieder aus.
12
Es weckte ihn weniger das Klopfen an der Tür als Atanasios Stimme. »Was bist du für ein Langschläfer, Morgado. Es ist zehn Uhr morgens, und du pennst. Schämst du dich nicht? Wie du aussiehst! Ich habe das Gefühl, du bist letzte Nacht ganz schön abgestürzt. Los. Gestehe.«
Eine halbe Stunde später, im Restaurant des Hotel Del Norte, musste Morgado erst einmal zwei Tassen Kaffee trinken, bevor er die Fragen seines Freundes vernünftig beantworten konnte. »Ich habe heute einiges vor.«
»Ich weiß. Ich habe schon mit Federico Lizárraga vom Diario 29 gesprochen. Er erwartet dich um eins. Aber vorher fährst du mit mir zur Universität. Dort setzt du mich ab, und dann kannst du mein Auto für den Rest der Woche haben.«
»Ich danke dir. Diese Stadt ist nicht dafür gemacht, um Taxi oder Bus zu fahren.«
»Vor allem nicht im Sommer.«
»Unterrichtest du?«
»Ich forsche und gebe zwei Kurse. Neue Zeiten. Wenn ich meinen Studenten beibringen würde, wie man einen Molotowcocktail baut, wären sie die Ersten, die mich ins Irrenhaus oder ins Gefängnis bringen würden. Niemand hat mehr Träume, Morgado. Und die, die welche haben, denken nur an ihren eigenen Ruhm, an ihre eigene Bereicherung. Die Jungs von heute denken praktisch. Sie wollen Geld für den Konsum, für Statussymbole, um ihre eigenen Paradiese genießen zu können.«
»Der Aufstand geht weiter, Atanasio, sieh nicht so schwarz. Nur auf anderen Wegen.«
»Erinnerst du dich noch an den Satz von David Alfaro Siqueiros: ›Es gibt nur einen richtigen Weg – den unsrigen‹? Wie wir uns über diese ernsten, unflexiblen Kerle lustig gemacht haben.«
»Und
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