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Tijuana Blues

Tijuana Blues

Titel: Tijuana Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Trujillo Muñoz
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entfernten. Kurz darauf hörte er weiter weg die brüllende Stimme seiner Mutter, das Heulen des Jungen und tiefe, unbekannte Stimmen. Don Claudio, der Nachbar von gegenüber, kam im Unterhemd heraus, um zu sehen, was los war. Man hörte Schüsse. Don Claudio versteckte sich hinter einer Palme. Schreie und Türenschlagen. Ein roter Mustang raste mit hoher Geschwindigkeit durch die Gasse.
    Der kleine Morgado wollte nach draußen und nachsehen, was passiert war, aber er konnte sich nicht einfach den Anordnungen seiner Mutter widersetzen.
    Eine Streife kam, als die Nachbarn schon auf ihn und auf das Haus zeigten. Don Claudio kam mit blutbefleckter Kleidung und schreckensbleichem Gesicht zurück. Lencha, Morgados Patin, klingelte, noch mit der Schürze bekleidet, an der Tür. Als er ihr öffnete, drückte sie ihn ganz fest an sich, wie sie es noch nie zuvor getan hatte. Sie wollte ihm etwas sagen, aber die Tränen hinderten sie daran.
    Der kleine Morgado versuchte, sie zu trösten. Es half nichts.
    Alicia stellte die Blumen mitten auf den Stein. Morgado schloss einen Moment lang die Augen. Es war kein Gebet, sondern ein Gespräch mit den Toten, mit seinen Toten.
     
20
     
    »Jetzt heißt es abwarten«, sagte Atanasio. Morgado betrachtete die Avenida López Mateos. Sie wurde erleuchtet von den Schildern der Bars, Hotels und Tanzsalons: El Imperial, La Copa de Oro, El R-R, Los Christales, Miramar.
    »Schöner Ausblick.«
    »Das ist das Café Amarillo. Mit einem zweiten Stockwerk und einer Terrasse zur Straße, zum Vergnügen von Massenpsychologen und Voyeuren wie dir und mir.«
    »Es ist faszinierend. Jetzt sitzen wir schon eine halbe Stunde hier, und ich habe noch nicht zwei Leute gesehen, die gleich angezogen waren.«
    Atanasio musste grinsen. Es stimmte, was Morgado sagte.
    »Das ist das Herz von Mexicali. Ein Vergnügungsort für die Verzweifelten, die Entwurzelten und die Tapferen.«
    »Wie auf einer Kirmes.«
    »Hör mal die Musik.«
    Morgado versuchte, sich zu konzentrieren. »Was aus dem Norden, oder? Ramón Ayala, glaube ich.«
    »Und was noch?«
    Als er die Augen schloss, vernahm Morgado noch weitere Klänge. »Rock. Auf Englisch.«
    »Und was noch?«
    »Cumbias und Boleros.«
    »Siehst du. Und es nimmt kein Ende. Wir sind ein Durchgangsort, wo alle Arten von Magie und Rhythmen getauscht und gehandelt werden.«
    »Jetzt hörst du dich an wie ein Poet und nicht wie ein politischer Aktivist.«
    »Mexicali, die Grenze, das hat was Besonderes. Es bringt dich dazu, seine Schönheit zu besingen.«
    »Du bist verrückt. Von welchem Ort sprichst du? Von dieser stinkigen, staubigen Stadt? Das Schönste hier sind die Kakteen.«
    »Du wirst das noch verstehen, Morgado. Schau dir doch diese vielen Leute an, die hier auf der Suche nach Entspannung und Spaß sind. Das ist unser Alexanderplatz, unser Greenwich Village, unser Soho. Fünftklassig, wenn du willst, aber unser. Erbaut nach unserem Ebenbild. Eine ganz eigene Hölle. Die Beste von allen.«
    Das Telefon neben der Registrierkasse klingelte. Die Kassiererin nahm ab und machte Atanasio Zeichen. Als er an den Tisch zurückkam, legte er das Trinkgeld hin. »Ich habe schon gezahlt. Lass uns gehen. Sie ist eben eingetroffen.«
    »In Begleitung?«
    »Sieht so aus. Aber weil sie den Lieferwagen in der Gasse abgestellt haben, konnte man nicht erkennen, wer bei ihr war.«
    Morgado blieb sitzen. Atanasio sah ihn an. »Was ist jetzt?«
    »Von jetzt an mache ich allein weiter.«
    »Bist du bescheuert? Du wirst doch nicht ohne Begleitschutz ins Treinta-Treinta gehen.«
    Morgado schob die 45er unter das Hemd. Das zeigte, dass er nicht viel Erfahrung mit Waffen hatte. »Das reicht. Die hier ist mein Talisman.«
    Atanasio verdrehte die Augen. »Damit du auf dem Friedhof landest.«
    »Die Sache muss ein für alle Mal geklärt werden. Außerdem haben deine Männer die Bar im Auge.«
    »Aber mit Doña Matilde ist nicht zu spaßen. Oder hast du Zamudio vielleicht die Version geglaubt, sie habe mit allem nichts zu tun, sie sei ganz unschuldig, was Heri angehe?«
    Morgado schwieg. Als Atanasio sah, wie halsstarrig sein Freund war, gab er auf. »Schon gut. Mach, was du willst. Es ist deine Sache.«
    Morgado ging auf die Straße hinaus und verschwand in der Menge. Atanasio verspürte zum ersten Mal Nervosität und Angst. Er hatte die Situation nicht unter Kontrolle. Um sich zu beruhigen, bestellte er noch ein Bier.
    An der Eingangstür des Treinta-Treinta standen die Öffnungszeiten des

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