Tim Burton: Der melancholische Magier. Mit einem Vorwort von Johnny Depp (German Edition)
Dollar gezahlt, es war also kein Studio beteiligt. Und das war gut so. Manchmal will man einfach Nägel mit Köpfen machen. Wir haben den Studios das Ganze dann als Paket angeboten: Hier, schaut’s euchan. Das ist das Drehbuch. So wird der Film aussehen. Wollt ihr es machen oder nicht? Kein Heckmeck. Wir haben ihnen zwei Wochen Zeit gegeben, um sich zu entscheiden. An dieser Vorgehensweise wollte ich festhalten, damit mir niemand irgendwelche Änderungen aufzwingen konnte.
Edward begegnet der Avon-Beraterin (Dianne Wiest)
Die Idee zu dem Film hatte ich einer Zeichnung zu verdanken, die ich vor langer Zeit angefertigt hatte. Es war einfach ein Bild, das mir gefiel. Es kam aus dem Unterbewusstsein – eine Figur, die nichts anfassen kann, die zugleich kreativ und zerstörerisch ist. Aus diesen Widersprüchen entsteht eine Ambivalenz, die mit bestimmten Gefühlen verbunden ist. Vermutlich kam dieses Bild bei mir zum ersten Mal in der Pubertät an die Oberfläche. Es hatte etwas mit meiner Selbstwahrnehmung als Teenager zu tun. Und mit der Beziehung zu meiner Umwelt. Damals hatte ich das Gefühl, mit anderen Menschen nicht kommunizieren zu können. Das Bild, das andere von mir hatten, schien nicht mit dem übereinzustimmen, wie ich mich selbst wahrnahm – wahrscheinlich ein weit verbreitetes Gefühl. Es ist frustrierend und traurig, wenn man sich anderen nicht mitteilen kann.
In meiner Kindheit hatte ich den Eindruck, dass die Gesellschaft wenig tolerant war. Schon sehr frühzeitig lernte man, sich anzupassen – jedenfalls in Amerika. Das fing am ersten Schultag an. Da wurde man in bestimmte Schubladen gesteckt: Dieses Kind ist klug, jenes nicht, dieses ist gut in Sport, ein anderes eher unsportlich, dieses ist normal, jenes ein bisschen seltsam. Als Kind habe ich mich einmal darüber gewundert, dass ein Lehrer ein Kind als dumm bezeichnet hat. Dabei war es gar nicht dumm, sondern sogar intelligenter als viele andere. Es hat nur nicht der Norm entsprochen. Der Film ist eine Reaktion auf diese Art Schubladendenken. In meiner Kindheit wurde ich als seltsam abgestempelt, weil ich so still und in mich gekehrt war.
Auch in Hollywood werden die Menschen schnell in Schubladen gesteckt. Manche Schauspieler gelten als Darsteller für ernste Dramen und bekommen deshalb bestimmte Rollen gar nicht erst angeboten. Ich weiß nicht, warum die Leute das machen. Schließlich will man selber auch nicht in eine Schublade gesteckt werden. Das ist traurig und frustrierend, weil man auf eine Weise festgelegt wird, die nichts mit der eigenen Selbstwahrnehmung zu tun hat. Und je ruhiger jemand ist oder je mehr er sich von anderen Leuten unterscheidet, desto schneller wird er abgeurteilt.
Oberflächlich betrachtet scheint EDWARD MIT DEN SCHERENHÄNDEN eine weitere Verarbeitung des Frankenstein-Motivs zu sein. Edward, die unvollendete Schöpfung seines verstorbenen Erfinders/Vaters, wird von der Avon-Beraterin Peg Boggs (Dianne Wiest) aus seinem einsamen Dasein in einem Schloss auf einem Hügel befreit, um mit ihrer Familie in einer pastellfarbenen Vorstadt zu leben. Dort wird er zum Objekt der Fantasien und Klatschgeschichten, der Abneigung, Bewunderung und Begierden seiner Nachbarn, die er nach und nach mit kitschigen Formschnittgewächsen, abenteuerlichen Frisuren und kunstvollen Eisskulpturen für sich einnimmt.
Am Anfang stand dieses Bild und das damit zusammenhängende Gefühl, nicht akzeptiert zu werden. Es folgten die Eisskulpturen und Hecken, mit denen Edward versucht, sich nützlich zu machen. Und dann die Welt, in die er hineingelangt. Hier habe ich auf Erinnerungen anmeine Kindheit in der Vorstadt zurückgegriffen. In der Erinnerung erscheinen die Dinge größer und gewichtiger, je länger sie zurückliegen. In den Vorstädten lebt man so eng aufeinander, dass jeder jeden kennt, und trotzdem gab es Dinge, die man über seine Nachbarn nicht wusste. Dunkle Geheimnisse. Sexuelle Dinge. Die Vorstadt hat etwas Verruchtes an sich, das habe ich schon als Kind unterschwellig gespürt. Zwar habe ich nie einen direkten Beweis dafür geliefert bekommen, aber ich hatte es im Gefühl.
Obwohl ich in der Vorstadt groß geworden bin, gibt es Aspekte des Lebens dort, die ich immer noch nicht richtig verstehe – etwa eine bestimmte Leere und Bedeutungslosigkeit, die über allem liegt und die mir auch bei meiner Familie aufgefallen ist. Ich hatte beispielsweise nie das Gefühl, dass meinen Eltern die Bilder, die sie an den Wänden hängen
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