Tim Burton: Der melancholische Magier. Mit einem Vorwort von Johnny Depp (German Edition)
Großteil der realistischen Szenen im Kasten hatten, nahmen wir uns die fantastischen vor, wo wir uns so richtig austoben konnten. Das hat Spaß gemacht. Besonders weil die realistischen Szenen sehr stark emotional aufgeladen und in sich geschlossen waren. Es war toll, bei den fantastischen Szenen zum Ausgleich richtig aufdrehen zu können. Die Dreharbeiten wurden nie langweilig, obwohl man oft herumsitzt und darauf wartet, dass es weitergehen kann. Bei diesem Film ging jedoch alles recht schnell und ohne lange Durchhänger über die Bühne, was gut war: Wenn man erst einmal anderthalb Stunden darauf warten muss, dass jemand seinen Gummianzug angezogen hat, verpufft ein guter Teil der Energie.
Die Koreakrieg-Szene ist ebenfalls erst spät hinzugekommen. Ursprünglich existierte sie allein deshalb, weil Ewan dort landen undzwei Mädchen kennenlernen sollte. Wir haben uns einmal im Spaß darüber unterhalten, ihm eine richtige Mission zu geben, aber dafür hatten wir weder Zeit noch Geld. Deshalb hatte ich die Idee, so einen lahmen Karatekampf im Dunkeln einzustreuen. Ewan wollte schon immer mal so eine Szene drehen, in der er gegen mehrere Gegner kämpft und sich am Ende die Nase wischt. Es ging um irgendeinen Kriegsfilm … ich weiß nicht genau, worauf er da angespielt hat.
Lustig sind die Leute, die darauf achten, ob die historischen Details auch ja alle stimmen. Während der Werbetour für den Film habe ich von Journalisten oft die Frage gestellt bekommen, warum in der Koreakrieg-Szene chinesische Schriftzeichen im Hintergrund zu sehen und amerikanische Lieder zu hören sind. Was soll man dazu sagen? Der Film ist keine historisch korrekte Darstellung des Koreakriegs. Er ist überhaupt keine historisch korrekte Darstellung von irgendwas. Darum ging es ja gerade!
Weswegen auch in einem Film, dessen Handlung zum Teil noch vor dem Ende der Rassentrennung in den Südstaaten der USA angesiedelt ist, der junge Edward Bloom mit schwarzen Kindern spielt und der kleine Will von einem dunkelhäutigen Arzt zur Welt gebracht wird, obwohl Schwarze damals noch keine weißen Patienten behandeln durften.
Der Film wird größtenteils aus Edward Blooms Perspektive erzählt. Ich habe ein Charakterprofil von ihm erstellt, und für mich war er kein Rassist. Solche Unterscheidungen hätten für ihn keinerlei Bedeutung gehabt. Und da der ganze Film von seiner Weltsicht bestimmt wird, ist es relativ egal, in welcher Zeit die Handlung spielt. Er würde die Realität nicht so wahrnehmen. Als wir die Zirkusszene gedreht haben, kamen ein paar der in Alabama ansässigen Komparsen zu mir – wirklich furchterregend aussehende Typen. Sie haben gesagt: »Sie wissen doch sicher, dass es hier eigentlich keine Schwarzen geben dürfte, oder?« Und ich habe gesagt: »Tja, in diesem Film gibt es sie aber …«
In BIG FISH halten sich die realistischen Krankenhausszenen mit dem älteren Edward Bloom und die fantastischen Szenen die Waage. Wobei Letztere weitgehend ohne Computertricks auskamen.
Das geschah aus mehreren Gründen. Zum einen wollten wir uns allein schon wegen des Themas nicht zu sehr auf CGI verlassen. Wir Filmleute sind alle ein bisschen faul geworden. Als wir die Szene drehen wollten, in der Edwards Auto in einem Baum hängt, hat jemand vorgeschlagen: »Können wir das Auto nicht einfach später einfügen?« Und ich habe gesagt: »Nein, wir müssen es in den Baum hängen.« Oder: »Können wir die Blumen nicht mithilfe von CGI erzeugen?« »Nein, wir werden die Blumen pflanzen, sodass Ewan auf einer Wiese stehen kann und nicht vor einem verdammten Bluescreen.« Genau um diese Frage geht es in dem Film – was ist real und was nicht? Deshalb war es mir wichtig, möglichst viel in Handarbeit zu erschaffen. Selbst bei den realistischen Szenen haben wir darauf geachtet, keine klischeehafte Südstaatenromantik aufkommen zu lassen, sondern einen Erzählton zu finden, der an den poetischen Bewusstseinsstrom des Southern Gothic erinnert.
Helena Bonham Carter als Jenny
Der Film ist von zahlreichen Fabeln, Märchen, Mythen und Legenden inspiriert und enthält viele Archetypen – die Hexe, die Meerjungfrau, den Riesen, den Werwolf, den Zirkus, die romantisierte Kleinstadt –, die von Burton auf ganz eigene Weise interpretiert werden. Ironischerweise gehen die sehr burtonesk anmutenden lebenden Bäume, die Edward daran hindern wollen, Spectre zu verlassen, auf eine Idee von Steven Spielberg zurück.
Wir haben eine Menge klassischer Bilder
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