Tim (German Edition)
wurde insgesamt Vierter, aber Erster in seiner Altersklasse. Ich schrieb Hal sofort eine E-Mail, in der ich ihm zu seinem Erfolg gratulierte. Tim erzählte mir auch davon, dass er die gleichen Fotos von Franklin bekommen hatte. Er wollte ebenfalls die Negative haben. Diese waren allerdings auf dem Weg zu mir. Tim gab mir unmissverständlich zu verstehen, dass ich sie so schnell wie möglich rauszurücken habe. Das Hauptanliegen seines Briefes war jedoch ein anderer:
Charlie, du bist verdammt intelligent, aber ich finde, deine Noten sind unterirdisch. Warum? Vielleicht hat sich bisher nie wirklich jemand dafür interessiert oder dir gezeigt, dass es sie interessiert. Nun, mich interessiert es. Ich weiß, dass in dir ein A-Student steckt! Also streng dich an. Nicht, weil ich einen Partner möchte, der nur A‘s bekommt, sondern weil ich einen Partner möchte, der auf sich selbst stolz ist. Bitte, bitte, bitte, Charlie, tu es für mich!
Unterirdisch? Ich hatte einen B -Durchschnitt. Das ist vielleicht durchschnittlich, aber doch nicht unterirdisch. Okay, für Tim‘s Ansprüche, die er vor allem an sich selbst stellte, vielleicht schon. Und wenn ich lange genug darüber nachdachte, war es für mich auch unterirdisch. Aber hatte ich die Selbstdisziplin, etwas daran zu ändern? Tim fuhr fort:
Wenn es dir wie mir geht, zerbrichst du dir den Kopf über uns und unsere Zukunft. In der Hoffnung, dass unsere Liebe die Jahre übersteht und dann ein Leben lang hält. Wenn du nichts tust, um dich abzulenken, werden dich diese Gedanken in den Wahnsinn treiben. Mich machen sie jedenfalls verrückt, aber ich arbeite daran. Das solltest du auch tun. In deinem Fall heißt das: konzentriere dich auf dein Studium und lerne, verdammt nochmal! Und komm mir bloß nicht mit irgendwelchem Bullshit.
Als ich diesen Absatz las, wusste ich, dass er recht hatte und dass ich mein Leben ändern würde. Nie wieder würde ich mich mit einem B zufrieden geben. Schließlich würde sich auch Tim nicht damit zufrieden geben. Und um das schon einmal vorweg zu nehmen: ich bekam nie wieder ein B nach diesem Brief.
Meine Antwort an Tim war ein ebenso holpriger Versuch an einem Liebesbrief, der nicht weniger unbeholfen klang als der von Tim. Ich weinte fast, als ich ihm dafür dankte, dass er mir den Kopf gewaschen hatte und versprach ihm, hart an mir zu arbeiten. Ich stellte ihm außerdem eine Frage, über die wir bisher nicht gesprochen hatten. Ich dachte aber, dass wir unbedingt darüber reden sollten, bevor jemandem weh getan wird. Ich bat ihn, sich Gedanken zum Thema Sex in den nächsten drei Jahren zu machen.
Wir fühlen uns beide verbunden und hoffen auf eine lebenslange Beziehung in dreieinhalb Jahren. Aber was ist bis dahin? Wir haben uns gegenseitig versprochen, ehrlich miteinander zu sein und es dem anderen zu sagen, falls unsere Liebe enden sollte. Darüber hinaus haben wir aber nichts vereinbart. Ich rede natürlich von Sex. Ich weiß, dass du onanierst und glaube mir, das mache ich auch. Dass das in Ordnung ist, brauchen wir wohl kaum zu diskutieren. Aber was ist darüber hinaus in Ordnung? Ist es okay, wenn du mit anderen Jungs — und Mädchen — experimentierst? Wenn wir die Zeit überstehen wollen, müssen wir hierfür Regeln aufstellen, damit niemandem weh getan wird. Wir müssen das nicht sofort entscheiden, aber denk bitte zumindest darüber nach. Und diese Regeln, wie auch immer sie aussehen werden, müssen dann für uns beide gelten.
Es ging mir bei dieser Frage nicht darum, mir seinen Segen für sexuelle Abenteuer zu holen. Ich wollte viel mehr damit verdeutlichen, was ich ihm schon im Camp gesagt hatte: ich wollte nicht, dass er die nächsten drei Jahre im Zölibat verbringt. Ich füllte, wie er, noch einige Seiten mit Ereignissen aus meinem Alltag und schickte meinen ersten Brief ein paar Tage später ab.
Ich versuchte mein Bestes, mich durch das Lernen von Tim und meinen Gedanken an ihn abzulenken. Es gelang mir auch, zumindest teilweise. Nachdem ich mich 2 Wochen intensiv mit meinem Stoff beschäftigt hatte, fiel es mir leichter, über andere Dinge nachzudenken. Es war zwar weniger interessant, über Plato zu lesen als über meine Sehnsucht nach Tim nachzudenken, oder mir vorzustellen, was ich gerne mit ihm anstellen würde. Aber es war für mich produktiver.
Meinem Mitbewohner, Pete, fiel als Erstem auf, dass ich plötzlich anfing, mich ernsthaft mit dem Material zu beschäftigen, anstatt es nur zu überfliegen und hier und
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