Tim (German Edition)
kuscheln. Samstag Nacht, als wir im Bett lagen und über den Tag und das Abendessen mit Hal sprachen, wurde mir klar, dass ich auf Tim warten würde. Ohne jeden Zweifel. Ich hatte es ihm nie gesagt, ihm nie von der Sehnsucht erzählt, die ich in den zwei Wochen empfand, die wir getrennt waren. Vielleicht hätte ich das tun sollen? Vielleicht würde ich es ihm in einem der Briefe sagen. Ich wusste aber, wie schwer es für ihn war. Unser Abschied hatte es mir noch einmal deutlich gemacht. Ich wollte ihm diese zusätzliche Last einfach nicht zuzumuten. Er war jung und sollte sich nicht an einen Mann binden, der außerhalb seiner Reichweite war. Ich wollte, dass er Erfahrungen sammelt und sich selbst besser kennen lernt.
Ich hatte ihn gebeten, mir zu sagen, wenn sich seine Gefühle änderten. Und ich vertraute darauf, dass er das auch tun würde. Für die nächsten Monate würde ich den Gang zum Briefkasten fürchten, immer in der Angst, dass ein Brief kommen würde, der genau diese Botschaft enthielt. Ich betete dafür, nie einen solchen Brief zu erhalten. Obwohl es für Tim vermutlich besser wäre, wenn er sich in jemanden in seinem Alter verlieben würde. Wenn ich ihn liebte, müsste ich mir nicht genau das für ihn wünschen? Sie könnten gemeinsam lernen, gemeinsam planen und sich eine Beziehung ohne Wartezeit und Einsamkeit aufbauen. Tim war sich jedoch sicher, dass das nicht passieren würde. Und ich glaubte ihm.
Auf halber Strecke dämmerte es mir. Ich hatte nicht einmal ein Foto von Tim. Verdammt, was war ich doch für ein Idiot. Ich hatte im Camp keine Fotos gemacht, weil meine Kamera kurz zuvor den Geist aufgegeben hatte. Und auch an diesem Wochenende hatte ich nicht danach gefragt. Ich Vollidiot! Das würde ich in meiner ersten Antwort auf Tim‘s Brief im Oktober auf jeden Fall nachholen. Das bedeutete, dass ich bis in den November hinein darauf warten müsste. Zum ersten Mal verfluchte ich mich für die Regeln, die ich selbst aufgestellt hatte. Aber mir blieb nichts anderes übrig, als mich selbst daran zu halten.
Mit diesen und vielen anderen Gedanken kämpfte ich auf dem Weg nach Rockford. Immer wieder musste ich anhalten, weil mir die Tränen in die Augen schossen oder weil ich mich einfach nicht auf die Straße konzentrieren konnte. Für den Rückweg brauchte ich fast zwei Stunden länger als für die Fahrt nach Minneapolis. Es war weit nach Mitternacht, als ich in Rockford ankam.
Schon nach wenigen Tagen stellte ich fest, dass mich das Studium nicht ausreichend ablenken konnte. Meine Gedanken schweiften immer wieder zu Tim ab und die Sehnsucht fraß mich regelrecht auf. Wie sollte ich dreieinhalb Jahre damit überleben? Ich wusste es nicht und musste mich darauf verlassen, dass es mit der Zeit einfacher werden würde.
Gegen Ende der Woche erhielt ich einen Brief von Franklin. Er entschuldigte sich dafür, dass er sich noch nicht gemeldet hatte, aber er hatte meine E-Mail-Adresse verbummelt. Er bat mich, ihm eine kurze Nachricht zu schicken, damit er die Adresse abspeichern konnte. Noch viel wichtiger war aber, was ich im Briefumschlag fand. Es waren drei Fotos. Eines von mir, ein wirklich süßes Foto von Tim und eines, auf dem wir beide gemeinsam drauf waren. Wir standen neben einander und hatten uns die Arme über die Schultern gelegt. Bis heute ist es mein Lieblingsfoto von uns. ›Ich habe Tim die gleichen Fotos geschickt‹ , schrieb er. ›Ich hoffe, ihr zwei Turteltauben freut euch darüber‹ . Ich schrieb ihm sofort eine E-Mail, in der ich mich für die Fotos bedankte und bat ihn um die Negative. Das Foto hing in den nächsten Jahren in meinem Zimmer an der Wand. Wenn jemand danach fragte, sagte ich einfach nur, dass ich im Camp sein Betreuer und er mein Liebling gewesen war und dass wir uns super verstanden hätten. Es fragte niemand nach der genaueren Bedeutung meiner Worte.
Tim‘s erster Brief erreichte mich am 3. Oktober. Er war eine Art Tagebuch und begann am Sonntag Abend, an dem ich wieder nach Rockford gefahren war. Danach schrieb er fast jeden Tag etwas neues in den Brief. Ich war aber erleichtert, dass er gegen Ende des Monats ein paar Tage ausgelassen hatte. Es war ein typischer Liebesbrief eines Teenagers, der unzählige Male ›ich liebe dich‹ , ›ich vermisse dich‹ und ›ich kann nicht ohne dich leben‹ enthielt. Zudem berichtete er darüber, dass er Hal zwei Mal getroffen hat. Einmal davon bei einem Wettbewerb, an dem drei Schulen aus der Umgebung teilnahmen. Hal
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