Timeless: Roman (German Edition)
einholte und gemeinsam mit ihr das Klassenzimmer verließ.
Mit einem Seufzer folgte Michele ihnen und hoffte, sie hätten nicht bemerkt, dass sie stehen geblieben war. Doch ein leises Kichern hinter ihr verriet ihr, dass jemand sie beobachtet hatte.
»Hey.« Es war der Junge, der neben ihr gesessen hatte. »Übrigens, ich bin Ben. Ben Archer.«
»Hi, ich bin …« Michele hielt inne und spürte, wie sie rot wurde. »Nun, du weißt ja, wer ich bin, nach diesem Vorstellungsgesülze.«
»Ja.« Ben lachte. »Die Lehrer haben uns bereits letzte Woche angekündigt, dass du kommst. Es wurde viel darüber geredet, wie du wohl sein würdest.«
»Oh.« Zu ihrem Entsetzen spürte Michele, wie ihr Gesicht purpurrot wurde. »Ich bin es nicht gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen. Wirklich, überhaupt nicht.«
»Für eine Windsor wirkst du ziemlich normal«, bemerkte Ben. »Aber angenehm«, grinste er.
»Oh … danke.« Michele betrachtete ihn mit leichter Neugier und überlegte, ob er wohl mit ihr flirtete. Früher hätte sie diese Vorstellung elektrisiert, doch jetzt ließ sie der Gedanke ziemlich kalt.
»Ich muss jetzt ins Physiklabor …« Michele verstummte und blickte auf den Schulplan in ihrer Hand.
»Ich muss in die andere Richtung. Sehen wir uns?«, fragte Ben hoffnungsvoll.
Michele nickte. »Bis dann!«
Ein paar Stunden später litt Michele an dem für Neue so typischen Befangenheitssyndrom. Vollkommen verunsichert saß sie im Unterricht, und alles wurde noch verstärkt durch ihr Bemühen, überall mitzukommen. Miss Richards hatte eindeutig vergessen, sie über den akademischen Standard der New Yorker Privatschulen zu informieren, und sie hatte das Gefühl, dass es hier nicht leicht werden würde, ihren Einserschnitt zu halten.
Als die Glocke zur Mittagspause läutete, atmete sie erleichtert auf, doch dann wurde ihr schmerzlich bewusst, dass sie niemanden hatte, mit dem sie essen konnte. Sie blieb noch eine Weile in der Klasse, in der der Englischunterricht stattgefunden hatte, an ihrem Pult sitzen und überlegte, wohin sie gehen und was sie tun sollte, während alle anderen in den Speisesaal strömten. Plötzlich packte sie jemand am Ellbogen. »Windsor, du isst mit uns«, sagte jemand mit schriller Stimme.
Michele wandte sich um und stand einem Mädchen gegenüber, das wie die Designer-Version einer Hausfrau der Fünfzigerjahre wirkte. Sie trug einen Cashmere-Pullover in zartem Pink zu einem Tweedrock und schwarzen Mary Janes. Ein pink kariertes Haarband und eine Perlenkette, die verdächtig echt aussah, setzte dem Ganzen die Krone auf.
»Hi. Tut mir leid, aber ich hab deinen Namen nicht verstanden«, erwiderte Michele, als das Mädchen sie zur Tür zerrte.
»Olivia Livingstone. Natürlich aus der Livingstone-Familie«, bemerkte das Mädchen mit einem stolzen Lächeln.
Michele hatte noch nie von den Livingstones gehört, doch ihr Instinkt riet ihr, es nicht zuzugeben. »Danke für die Einladung zum Lunch«, sagte sie stattdessen.
»Oh, es ist nicht nur eine Einladung; es ist meine Pflicht«, erwiderte Olivia und bedachte Michele mit einem todernsten Blick. »Wir angesehenen alten Familien müssen zusammenhalten, denn wir sind ja das Vorbild für die neue Generation.«
»Hm … wie?«
Doch bevor Olivia antworten konnte, waren sie an ihrem Tisch in dem feudalen Berkshire-Speisesaal angelangt, wo drei weitere Mädchen bereits Platz genommen hatten. Sie schienen Olivias Modegeschmack zu teilen.
»Hier ist sie«, verkündete Olivia den Mitgliedern ihrer Clique triumphierend. »Ich habe euch doch gesagt, dass wir es schaffen würden, eine Windsor in unseren Club aufzunehmen. Michele, das sind Madeline Belmont, Renee Whitney und Amy Van Alen. Ihre Nachnamen sind dir ja wohl bekannt.«
Michele hatte keinen der Namen je gehört. Schüchtern setzte sie sich auf den Stuhl, den man ihr zuwies. »Hi. Was genau hat es mit eurem Club auf sich?«
Madeline warf Olivia einen flüchtigen Blick zu, als warte sie auf ihre Erlaubnis, zu sprechen. Dann erklärte sie: »Wir sind die einzigen Schüler hier, die aus Familien der New Yorker oberen Vierhundert stammen. Unsere Aufgabe ist es, die Nachfolge von Mrs. Astor anzutreten, die nächste Generation der gehobenen Gesellschaft mit Eleganz zu leiten und gegen die Albernheiten der Neureichen zu verteidigen, die ein schlechtes Licht auf uns werfen.« Passenderweise drehte sich Madeline um und schnaubte angewidert beim Anblick eines Mädchens im Minirock, das am Nebentisch in
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