Timm Thaler
äußerlicher Gleichmut einen Vorteil:
Der Baron wiegte sich in Sicherheit. Lefuet glaubte, Timm habe sich mit seinem Los abgefunden, und wurde nachlässig in der
Überwachung des Jungen. Von Woche zu Woche, von Monat zu
Monat wurde er sicherer, daß Timm Thaler wachsenden Gefallen an
der Rolle des reichen Erben fände und daß er das Leben eines
milliardenschweren Weltenbummlers gegen nichts mehr eintauschen
werde, nicht einmal gegen sein Lachen.
Tatsächlich wurde Timm auf dieser Reise seltener an sein
verlorenes Lachen erinnert als je zuvor. Auf die sehr reichen Leute nimmt man in den sehr feinen Hotels große Rücksicht. Wenn ein
Hoteldirektor spürt, daß ein solcher Gast nicht lachen mag, weiß im Handumdrehen das ganze Personal, vom Chefportier bis zum
Zimmermädchen, daß in der Nähe dieses Gastes nicht gelacht
werden darf. Und die Folge: Es lacht wirklich niemand in seiner
Nähe.
Aber die Welt besteht – auch für sehr reiche Leute – nicht nur aus feinen Hotels. Selbst Milliardäre brauchen manchmal frische Luft.
Und bei allen Spaziergängen, die Timm allein oder in Begleitung des Barons unternahm, merkte der Junge, wie sehr die Welt voll Lachen steckt.
Nach Istanbul sah Timm ein zweites Mal Athen. Auf Athen folgte
Rom, auf Rom Rio de Janeiro, auf Rio folgten Honolulu, San
Francisco, Los Angeles, Chicago und New York. Es ging nach Paris, Amsterdam, Kopenhagen und Stockholm, nach Capri, Neapel,
Teneriffa, Kairo und Kapstadt. Man flog nach Tokio, Hongkong,
Singapur und Bombay; Timm sah den Kreml in Moskau und die
Brücken von Leningrad, er sah Warschau und Prag, Belgrad und
Budapest. Und überall, wo ihr Flugzeug landete, hörte Timm auf den Straßen das Gelächter der Welt: Er hörte das Lachen der
Schuhputzer von Belgrad und der Zeitungsjungen in Rio; die
Blumenhändler von Honolulu lachten wie die Tulpenfrauen in
Amsterdam; es lächelte der Kesselschmied von Istanbul wie der
Wasserverkäufer in Bagdad; man kicherte und scherzte auf den
Brücken von Prag genau so wie auf den Brücken von Leningrad; und
im Theater von Tokio klatschte und lachte man nicht anders als im Theater auf dem Broadway in New York.
Der Mensch braucht das Lachen wie die Blume den
Sonnenschein. Gesetzt den Fall, das Lachen stürbe aus: Die
Menschheit würde ein zoologischer Garten oder eine Gesellschaft
von Engeln: langweilig, ernst und von erhabener Gleichgültigkeit.
Timm bewahrte, so ernst er auch erscheinen mochte, den Wunsch
und die Sehnsucht, lachen zu können. Wenn er auch äußerlich
zufrieden schien: Er wäre mit Freuden ein Bettler von New York
geworden, hätte er dadurch einstimmen dürfen in das Gelächter der Welt!
Aber über sein Lachen verfügte ein anderer. Jemand neben ihm,
manchmal nur wenige Schritte von ihm entfernt, besaß sein
kullerndes Bubenlachen. Und Timm – so schlimm das ist –
gewöhnte sich in diesem Jahr beinah daran. Er nahm es hin und
kümmerte sich um andere Dinge. Er lernte.
Er lernte alles, was ein sogenannter Herr von Welt können oder
wissen muß. Er konnte auf die appetitlichste Weise Hummer, Fasan
und Kaviar essen; er konnte Austern schlürfen und
Champagnerflaschen entkorken; er kannte die geläufigsten
Höflichkeitsfloskeln von „es hat mich gefreut“ bis zu „es war mir eine Ehre und ein Vergnügen“ in dreizehn Sprachen; er kannte die
Höhe der Trinkgelder in allen berühmten Hotels der Welt; er konnte kleine Reden aus dem Stegreif halten und Grafen, Herzöge und
Prinzen auf vorgeschriebene Weise anreden und behandeln; er
wußte, welche Socken und Krawatten zusammenpassen und daß man
nach sechs Uhr abends keine braunen Schuhe mehr trägt (after six no brown, sagt der Engländer); er lernte, beim Heben einer Tasse
niemals den kleinen Finger abzuspreizen; er lernte ein wenig
Französisch, Englisch und Italienisch unterwegs und ohne
Wörterbuch; er lernte, wie man interessiert aussehen kann, wenn
man sich langweilt; er lernte Tennis, Segeln, Autofahren und sogar, wie man ein Auto repariert; er lernte so gut, sich zu verstellen, daß der Baron entzückt war.
Obwohl Lefuet in fast jeder Stadt heimliche Besprechungen über
Margarine führte, wurde Timm davon verschont. Er durfte tun, was
ihm Spaß machte. Nur manchmal mußte er mit Leuten dinieren oder
soupieren, die entweder sehr berühmt waren (dann machten die
Zeitungsleute ein Photo davon) oder die der Gesellschaft nützlich waren. Auf diese Weise lernte Timm einen englischen
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