Timm Thaler
Würden Sie ihn, bitte, herausholen.“
Der Alte tat es, und Timm fragte: „Was bedeutet dieser
Füllfederhalter?“
„Er ist mit einer Tinte gefüllt, die langsam verblaßt und nach und nach ganz verschwindet. Wenn unsere Gesellschaft in einem Jahr die Timm-Thaler-Margarine ankündigt, wird unter dem Vertrag im Safe
Ihre Unterschrift fehlen. Dann können Sie verhindern, daß die
Margarine auf den Markt kommt. Tun Sie es aber erst dann, wenn
alle Welt schon über die Markenmargarine unterrichtet ist!“
„Wird die Gesellschaft dadurch vor die Hunde gehen, Selek Bei?“
Der Alte lachte über die Frage. „Nein, mein Junge, dafür ist sie
trotz allem zu stabil. Aber die Gesellschaft wird gewaltige Verluste erleiden. Bis eine neue Sorte da ist, werden die Konkurrenten nicht müßig sein. Unsere Gesellschaft wird mit der Zeit trotzdem enorm
an der Markenmargarine verdienen; aber sie wird niemals den Markt beherrschen.“
Selek Bei setzte sich nun in die Eckbank am Fenster und sah in
den Regen hinaus. Abgewandten Gesichts sagte er: „Ich weiß nicht, ob du und ich den Baron jemals überlisten werden. Er ist klüger als wir beide zusammen. Trotzdem will ich versuchen, dir zu helfen.
Unter den Händen des Barons scheint dir das Lachen vergangen zu
sein; und ich möchte, daß du wieder lachen lernst!“
Als Timm erschrocken etwas sagen wollte, winkte Selek Bei ab:
„Sag lieber nichts, mein Junge! Aber setze auch keine allzu großen Hoffnungen in meinen Versuch. Lachen, Timm, ist keine
Handelsware wie Margarine. Wer damit handelt, handelt irrig. Um
Lachen feilscht man nicht. Lachen verdient man.“
Das Telefon läutete. Da die rechte Hand des Jungen verbunden
war, ging Selek Bei zum Apparat, hob den Hörer ab, meldete sich,
lauschte, verdeckte dann die Sprechmuschel und sagte halblaut: „Ein Herr aus Hamburg wünscht dich dringend zu sprechen!“
Timm überlegte blitzschnell. Er hatte versprochen, mit seinen
Hamburger Freunden ein Jahr lang keine Verbindung aufzunehmen.
Andernfalls würde Herrn Rickert vermutlich etwas zustoßen. Also
mußte der Junge seinen alten Freund zu dessen eigenem Wohl
verleugnen. Er legte deshalb einen Finger auf die Lippen, und Selek Bei sagte: „Herr Thaler ist bereits abgereist.“ Und legte den Hörer auf, aber merkwürdig zögernd.
Kurz darauf verließ der alte Mann den Jungen, der sich ans
Fenster stellte und in den gleichmäßig weiterrinnenden Regen
hinaussah.
In einem Jahr würde Timm die Hamburger Reederei besitzen und
Herrn Rickert schenken; in einem Jahr würde seine fehlende
Unterschrift ein Königreich aus Margarine in Verwirrung stürzen; in einem Jahr würde er Kreschimir und Jonny, Herrn Rickert und
dessen Mutter wiedersehen; in einem Jahr…
Der Junge wagte nicht, sich das mögliche Glück auszumalen.
Aber er hoffte darauf. Auch hoffte er, dieses Weltreise-Jahr in
Begleitung Lefuets ruhig und mit Anstand zu überstehen.
Und Hoffnung hißt Fahnen der Freiheit.
VIERTES BUCH
Das wiedergefundene Lachen
Wo der Mensch lacht,
hat der Teufel Beine Macht verloren.
Frau Bebber
Siebenundzwanzigster Bogen
Ein Jahr im Flug
Das Welt-Reise-Jahr wurde für Timm ein Jahr im Fluge. Es begann
in der kleinen zweimotorigen Privatmaschine, die den Jungen und
den Baron nach Istanbul flog. Wieder sah Timm dabei Frauen und
Männer, die ihre Esel durch das Gebirge trieben. Aber sie waren ihm nicht mehr fremd wie beim ersten Mal, als er sie gesehen hatte. Ihre Kleidung glich derjenigen Selek Beis und einiger
Schloßbediensteter. Er fühlte, obwohl er die Leute da unten nicht kannte, daß er sie gern hatte. Er empfand für sie Wohlwollen und
Mitleid. So wie für die Scherenschleifer von Afghanistan.
In Istanbul blieben die beiden eine Woche lang. Timm begleitete
den Baron in Moscheen und Bildergalerien und fand fast eine Art
Gefallen an der Reise. Er war durch die Ereignisse im Schloß für
eine Weile entmutigt worden, seinem Lachen nachzujagen.
Zugleich aber nährte er die Hoffnung, in einem Jahr werde alles
anders werden. Im Gedanken an Selek Bei und seine Freunde in
Hamburg fühlte er eine so ruhige Zuversicht, daß er allen Ernstes glaubte, sein Lachen werde ihm nach dieser Reise von selbst in den Schoß fallen, wie ein reifer Apfel vom Baum fällt. Diese Hoffnung barg die Gefahr in sich, daß Timm selbst nichts mehr tun würde, sein Los zu ändern, daß er sich mit seiner beklagenswerten Lage abfände.
Aber zugleich hatte Timms
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