Timm Thaler
Junge sehnte sich danach, irgendwo in den Straßen dort unten
ein unbekannter, ganz gewöhnlicher Junge zu sein. Die Welt der
großen Geschäfte ging über seine Kraft.
Timm wußte, daß er von seiner Wolkenhöhe herabsteigen mußte,
um zu seinem Lachen zu kommen. Er dachte an Jonny, Kreschimir
und Herrn Rickert. Übermorgen, einen Tag nach seinem Geburtstag,
durfte er sie wieder sprechen.
Falls sie in Hamburg waren. Und falls sie noch lebten.
Achtundzwanzigster Bogen
Ein Wiedersehen ohne Willkommen
Wenn der Baron mit Timm irgendwo auf der Welt ein Flugzeug
verließ, pflegte Lefuet dem Jungen den Vortritt zu lassen; denn
meistens wurden sie von Photoreportern erwartet. Aber hier, auf dem Hamburger Flugplatz Fuhlsbüttel, verließ der Baron das Flugzeug als erster. Es stand auch niemand da, der die beiden erwartete, kein
Photoreporter und niemand von der Zeitung; nicht einmal ein
Direktor der Gesellschaft empfing sie. Aber ein Willkommen der
Firma entbot ihnen ein riesiges Plakat auf der Wand des
Zollgebäudes:
PALMARO
Die erste Marken-Margarine der Welt
Schmackhaft wie Butter, billig wie Margarine
Zum Braten, Backen, Kochen und aufs Brot
Timm betrachtete zuerst das Plakat und dann den Baron, der
lächelte.
„Sie wundern sich über den Namen der Margarine, Herr Thaler?
Nun, wir haben im Laufe dieses Jahres feststellen müssen, daß die Timm-Thaler-Margarine im Ausland manche Nachteile hätte. In
vielen Ländern wäre Ihr Name schwer zu schreiben. Außerdem sieht
man in Afrika lieber das Gesicht eines lachenden schwarzen Knaben auf Plakaten als das eines weißen. Auch das rührende Arme-Junge
Märchen war etwas ungeschickt; denn unsere Margarine soll ja nicht nur von armen Leuten gekauft werden.“
Sie hatten inzwischen den Zoll passiert, wo man Timms und
Lefuets Handgepäck ohne weitere Fragen mit den üblichen
Kreidekreuzen versehen hatte.
Draußen winkte der Baron einem Taxi, was Timm wunderte. Kein
Auto der Gesellschaft stand für sie bereit. Aber als das Taxi anfuhr, sah der Junge im Rückspiegel einen der Detektive aus Genua, der
sich – anscheinend vergeblich – nach einem anderen Taxi umsah.
Im Auto setzte Lefuet das Gespräch fort: „Wir haben unsere
Margarine Palmaro genannt, weil es dieses Wort in fast allen
Sprachen der Welt in ähnlicher Form gibt. Auch ist die Palme
jedermann bekannt. Im Norden sehnt man sich nach ihr, im Süden
wächst sie vor der Tür.“
„Dann wäre Selek Beis Füllfederhalter in jedem Falle sinnlos
gewesen, Baron?“
Lefuet nickte. Dann beugte er sich zu dem Taxifahrer vor und
sagte: „Vermeiden Sie die Innenstadt, solange es geht!“
Der Fahrer nickte.
Der Baron lehnte sich wieder zurück und fragte: „Was fangen Sie
mit Ihren Reederei-Aktien an, Herr Thaler?“
„Ich werde die Reederei Herrn Rickert schenken, Baron.“ Wieder
fügte der Junge bemüht ruhig und kühl eine Erklärung hinzu: „Dann brauche ich kein schlechtes Gewissen mehr zu haben, weil er
meinetwegen seine Stellung verlor.“
Der Taxifahrer schien einem Bordstein zu nahe gekommen zu
sein. Das Auto schlitterte leicht.
„Geben Sie doch acht, zum Teufel!“ schrie Lefuet erregt.
„Schuldigung“, brummte der Fahrer. Timm war es plötzlich, als
ob er diese Stimme schon gehört habe. Er versuchte, im Spiegel das Gesicht des Taxifahrers zu erkennen. Aber ein Bart, eine dunkle
Brille und eine tief in die Stirn gezogene Schirmmütze verdeckten es fast vollständig.
Neben dem Jungen erklang plötzlich das kullernde Lachen. Sogar
der Schlucker fehlte nicht.
„Sie haben von unserer Gesellschaft noch immer nicht die richtige Vorstellung“, lachte der Baron. „Sie können unsere Hamburger
Reederei nicht einfach – mir nichts, dir nichts – an Herrn Rickert verschenken, Herr Thaler.“
„Warum nicht?“
„Mit Ihrem Aktienpaket sind Sie nur sogenannter Stiller
Teilhaber. Der Reingewinn aus der Firma fließt Ihnen zwar zum
größten Teil zu; aber das Kommando über die Reederei führt
weiterhin der Verwaltungsrat mit den Stimmaktien: Ich, Mister
Penny, Senhor van der Tholen und Selek Bei.“
„Wenn Herr Rickert wieder Direktor wird, können Sie ihn also
später jederzeit wieder entlassen, Baron?“
„Jederzeit!“
Der Taxifahrer fuhr jetzt langsamer, weil er husten mußte. Er
schien erkältet zu sein.
Timm sah mit sehr nachdenklichem Gesicht aus dem Fenster. Das
Auto fuhr eine ruhige Straße an der Alster entlang. Aber der Junge bemerkte
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