Tintorettos Engel
Restaurierung, ein Auftrag - egal, was und zu welchem Preis. Siebzehn Jahre Unsicherheit haben sie gelehrt, jeden Knochen abzuknabbern. Weitere siebzehn Jahre Wohlstand konnten sie nicht davon überzeugen, gewisse Gewohnheiten abzulegen. Für meine Frau, und einzig für meine Frau, ging ich hinunter und nahm die Besucher in Empfang.
Hieronymus Ott und Hans Jacob König - in unserem Hause Otto und Kini genannt - kenne ich seit Jahren: Wer in Venedig von ihnen gehandelt wird, kann sich den Mund mit Gold auskleiden. Für dahergelaufenes Mittelmaß machen die sich nicht die Finger schmutzig. Den dritten allerdings, einen stämmigen Kerl mit dichtem, rötlichem Bart, hatte ich noch nie gesehen. Er war angeblich ein wichtiger Prälat aus Bayern, an seinen Namen kann ich mich jedoch nicht erinnern. Zu viele Menschen gehen hier ein und aus. Und Titel hinterlassen bei mir gewöhnlich keinen bleibenden Eindruck. Botschafter, Kardinäle, Prinzen - für mich sind sie allesamt nur Menschen, die ich malen muss. Alle haben sie eine Nase, Augenbrauen, ein Kinn. Ihr hässliches Erscheinungsbild bereitet mir sogar hin und wieder Sorgen, denn vermutlich gefallen sie sich nicht, wenn ich ihnen das Gemälde überreiche - und das bedeutet, dass ich nicht einen Kunden dazugewonnen, sondern mindestens zehn verloren habe, da einflussreiche Menschen über einen großen Bekanntenkreis verfügen, in dem viel geredet wird.
Doch all das ist nun vorbei. Der rote Bart und die gläsernen, ausdruckslosen blauen Augen waren alles, was mir an meinem Gast auffiel. Ich habe mir angewöhnt, Menschen wie technische Probleme zu betrachten: schielende Augen, Augenränder, spitzes Kinn, Doppelkinn oder ein unscheinbares Gesicht. Letzten Endes ist keiner von uns etwas Besonderes: Alles, was uns von Millionen anderer unterscheidet, lässt sich auf eine Grimasse, ein Verziehen der Augenbrauen oder eine Warze auf der Nase reduzieren. Ich zum Beispiel bin nicht mehr als mein aschgrauer, zerzauster Bart, die drei tiefen, horizontalen Falten auf der Stirn und meine dunklen Augenhöhlen.
Seine Hochwürden Rotbart war am Ende seines Aufenthalts angelangt und wollte mit einem Andenken an Venedig in seine Heimat zurückkehren. Und ich bin in dieser Stadt durchaus ein Denkmal: Wie ein im Laufe der Zeit korrodierter Armstumpf aus Marmor, eine antike Münze oder eine Tonscherbe nehmen sie mich mit. Otto ist der in Venedig ansässige Handelsvertreter der für den Papst und die Könige arbeitenden Finanzmänner - namentlich der Fugger. Es heißt, diese Bankleute bräuchten von Philipp II. lediglich die Begleichung seiner Schulden zu fordern, und schon würde in Europa ein Krieg ausbrechen. Zu Aussagen dieser Art schweige ich lieber so still wie die Wand meines Ateliers. Politik hat mich noch nie interessiert. Ich bin auch nie in den Krieg gezogen. Bin nicht in Lepanto gewesen, habe nicht für mein Land gekämpft. Dennoch wollte ich der Stadt stets ein guter Bürger sein: Meine Schuld aber habe ich auf andere Art bezahlt.
Kini ist Ottos Schwiegervater. Er arbeitet als Goldschmied, Juwelier und Kunsthändler. Da er sich in der Malerei besser auskennt als die meisten Prinzen, tritt er als ihr Ratgeber auf. Rudolf II. hat ihn sogar an seinen Hof gerufen. Nach Venedig kommt er daher nur noch selten - um das eine oder andere Geschäftchen für seinen Herrn abzuwickeln, erklärt er bescheiden. Kini hegt durchaus Achtung für mich, zumindest missachtet er mich nicht:
Er hatte mir mindestens ein Dutzend Portraits irgendwelcher Berühmtheiten, denen ich persönlich nie begegnet war, abgekauft - mithilfe von vergilbten Drucken hatte ich mir im Kopf ein eigenes Bild von ihnen machen müssen. Doch an Vorstellungskraft hat es mir nie gemangelt. Kini war es, der den Kaiser davon überzeugt hatte, mir einige Historienbilder abzukaufen, die nun das Prager Schloss zieren. Jetzt, da ich nicht mehr male, erlange ich auf dem europäischen Markt allmählich einen Wert. Der Gedanke, dass meine Christusfiguren und Göttinnen die Paläste von Madrid und Augsburg, Antwerpen und Prag zu sehen bekommen, reicht mir vollauf. Sie einmal mit eigenen Augen zu sehen, war nie mein Wunsch.
«Seht nur die Akte und die verkürzten Figuren, und dieses Licht», versuchte Kini den Rotbärtigen zu begeistern,«wir befinden uns wahrhaftig in einer Akademie der Malkunst, denn es sind vor allem drei Dinge, die ein großer Meister können muss: Figurenkomposition, perspektivische Verkürzung und Lichtgebung. Und
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