Tintorettos Engel
nächstes Jahr. Aber dieser Palazzo wird mir gehören. Uns , mein Funke.»
«Ich will keinen Palazzo», protestierte Marietta,«lieber lebe ich in einer Hundehütte, solange ich nur bei dir bleiben darf.»Ich schüttelte den Kopf. Sie begriff nicht. All jene, die es darauf angelegt hatten, mich in meinem Vorankommen zu hindern, sollten vor Neid zergehen, wenn ich, der Sohn des Tuchfärbers, sie überholt hätte. Alle, die meinten, ihr Herz stehlen zu können, indem sie ihr den Himmel auf Erden versprachen, sollten krepieren, denn ich würde ihr bereits alles geschenkt haben.«Du wirst nicht auf deine Musik verzichten müssen, im Gegenteil, du wirst ein eigenes Zimmer bekommen», sagte ich,«ich werde dir ein Spinett kaufen, ach was, ein Cembalo, und zum Unterricht wirst du nicht mehr das Haus verlassen und auf einer unechten Holztastatur
herumklimpern müssen, du kannst üben, wann immer du willst, niemand wird dich daran hindern können zu malen und Musik zu machen, ganz für dich allein und für mich, wenn du magst. Du wirst die Tür hinter dir zumachen und vergessen, wo du bist. Es wird königlich werden, mein Funke. Da ich mir diese Idee nun einmal in den Kopf gesetzt habe, werde ich mich erst zufriedengeben, wenn ich sie Wirklichkeit werden lasse. Verschmähe mich ruhig, wenn ich mein Versprechen nicht einhalte.»«Jacomo!», stieß Marietta seufzend hervor, während sie sich auf mich stürzte und ihren Mund in meinem Bart vergrub.«Ach, Papa.»
Für diese dreißig Schritte brauchte ich die nächsten achtundzwanzig Monate. Als ich mein Versprechen endlich einlöste, war ich sechsundfünfzig Jahre alt, hatte einen grauen Bart, sieben Kinder, davon vier Mädchen und drei Jungen, da der kleine Ottavio gestorben war, einen Diener, eine Magd, drei Assistenten, eine Katze und einen Hund. Wir lebten erst seit wenigen Monaten zwischen diesen Mauern, als im Viertel ein Fensterladen nach dem anderen zuging. Als Erstes erkrankten unsere Nachbarn. Sie hatten Besuch aus der Provinz im Norden bekommen, aber weder die einen noch die anderen traten mehr vor die Tür. Daher nahmen wir an, sie wären verreist. Bis der Pfarrer von San Marcilian Faustina mitteilte, dass erst die Gäste und dann unsere Nachbarn an der Pest gestorben seien. Niemand schenkte ihm Glauben. Sicherlich handelte es sich um eine Vergiftung oder eine heimtückische Geschlechtskrankheit: Die Verstorbenen waren keine gottesfürchtigen Menschen gewesen, und wie man wusste, wurden hauptsächlich Sünder von Krankheiten befallen.
Doch die Pest brach tatsächlich aus. Monatelang wurde nicht darüber gesprochen - denn sobald man die Dinge beim Namen nennt, werden sie wahr, und von der Pest wollten wir in Venedig nichts wissen. Zwei Jahre zuvor hatten das Osmanische Reich und wir einen Separatfrieden unterzeichnet, da keiner einem neuen Krieg entgegengehen wollte. Unsere ehemaligen Alliierten der
Heiligen Liga beschuldigten uns zwar, dadurch das Andenken der Toten von Lepanto zu besudeln und die gesamte Christenheit zu verraten. Außerdem kostete uns der Frieden einen Haufen Geld, die Republik blühte jedoch wieder auf; denn unsere Kleider und unsere Stoffe, unser Glas und unsere Spiegel, kurz, all unsere schönen Sachen waren noch überall gefragt. Der Überfluss an Geld rief eine ungeheure Gier nach Luxusgütern und Gemälden wach. Kein Maler war ohne Arbeit, auch ich nicht. Von Monat zu Monat festigte sich meine Position. Mir wurde zwar noch immer nachgesagt, unzuverlässig und nicht besonders empfehlenswert zu sein, aber der Doge Mocenigo wusste mich zu schätzen: Sein Freund Nicolò da Ponte, ein alter Bekannter von mir, war zum Prokurator und Cavaliere Morosini zum Bauleiter des Dogenpalastes ernannt worden. Bei der Verteilung der von der Republik finanzierten Arbeiten hatten sie ein Wörtchen mitzureden. Meiner Familie mangelte es daher an nichts. Wir lebten gut und in der festen Überzeugung, es würde fortan stetig bergauf gehen. Hier und da hörte man etwas von einem Infektionsherd in Konstantinopel oder in Trient oder Mailand, aber man beschränkte sich darauf, nur die Waren aus dem Ausland zu entkeimen. Was in der Stadt geschah, wusste niemand so genau.
Wer erkrankte oder starb, tat es nahezu im Verborgenen - um keinen Ärger zu machen. Die Toten verschwanden - in der Gunst der nächtlichen Stunde schaffte man sie fort. Ihre Angehörigen wurden isoliert: Waren sie reich, sperrte man sie in ihre Häuser, waren sie arm oder mit keinem Machthaber
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