Tiphanie – Feuer der Sehnsucht
angenehme kultivierte Stimme des Edelmannes, der Tiphanie wie die Verkörperung von Adel und Schönheit vorkam, enthielt eine Frage, die sie jedoch nicht beantwortete.
Es war Olivier de Clisson noch nie passiert, dass sich eine schöne junge Edeldame dermaßen spröde und zugeknöpft gab in seiner Gegenwart. Er zählte zu den begehrtesten Junggesellen des Hofes, und obwohl immer wieder von einer Verlobung die Rede war, gab es keine offiziellen Ankündigungen. Er war es gewöhnt, bewundert und umschwärmt zu werden. Dass man ihn kaum beachtete, reizte seinen männlichen Jagdinstinkt ebenso sehr wie die fremdartige Anmut dieses Mädchens. Er traf einen schnellen Entschluss.
»Erlaubt Ihr, dass ich mich zu Eurem Fürsprecher mache?«
Er reichte ihr auf höfische Art den Arm mit der locker geballten Faust, aber die Finger ihrer Rechten legten sich nicht darauf. Sie blieben im Nackenfell des Ungetüms vergraben, das geduldig an ihrer Seite stand und imponierend die Zähne fletschte, als er den Versuch machte, ein wenig näher zu treten.
»Nun gut«, Olivier de Clisson war klug genug, um eine Drohung zu erkennen, auch wenn sie lediglich in Hundeaugen stand. »Wir werden sehen, was wir für Euch tun können! Öffnet die Tür!«
Die letzten Worte galten den Wachen, und wie durch ein Wunder hoben sich die Hellebarden. Die Flügeltür wurde für den Seigneur freigegeben, der sie aufdrückte und für Tiphanie zur Seite trat.
Von Marron geführt, trat sie über die Schwelle und fand sich einem wahren Kreuzfeuer überraschter Blicke ausgeliefert. Der Rat des Herzogs hatte sich im Arbeitskabinett versammelt. Er bestand in erster Linie aus Männern, die Jean de Montfort nahe standen und – bis auf wenige Ausnahmen – auch in seinem Alter waren. Eine Gruppe kampferprobter Ritter in jungen und besten Jahren, die in einer Mischung aus Verblüffung und Neugier das zierliche Mädchen und den riesigen Hund ansahen, die ihre Unterredung in diesem Augenblick störten.
Wie magisch angezogen fanden Tiphanies Augen unter all den fremden Gesichtern jenes von Jannik de Morvan. Sie hatte ihn noch nie mit höfischer Eleganz bekleidet gesehen. Sie bewunderte versonnen das Ensemble aus einem pelzgefütterten, ärmellosen, dunkelblauen Samtmantel, hautengen gleichfarbigen Beinlingen und einem silberbestickten Wams, das auf der Brustseite das Wappen der Morvans trug.
Er wirkte nicht so glänzend und auffällig wie Olivier de Clisson, aber sie fand ihn eleganter und nobler. Er stand an der Rechten eines Mannes, der zwar eine erkennbare Spur kleiner und gedrungener als der junge Ritter wirkte, aber trotzdem knisternde Autorität verspürte. Es hätte der breiten Kette aus Goldgliedern mit dem Wappenschild in der Mitte nicht bedurft, damit sie ihn als den Herzog der Bretagne erkannte.
Jean de Montfort wiederum erkannte in dem Begleiter des Mädchens eine Kreatur, die er noch nie in diesem Zustand ruhiger Gelassenheit gesehen hatte. Unwillkürlich löste er sich aus der Gruppe und ging auf die beiden zu.
»Wer hat erlaubt, dass diese Bestie aus dem Zwinger gelassen wird?«, sagte er mit so viel eiskaltem Zorn in der Stimme, dass er sich wie ein frostiger Nebel über den Raum legte. »Ich wünsche sofort den Mann zu sehen, der die Hunde beaufsichtigt!«
Tiphanie hörte davoneilende Schritte und das Klicken des Türschlosses, aber sie nahm nicht die Augen vom Herzog. Er stand in respektvoller Entfernung vor Marron, aus dessen breiter Brust ein bedrohliches Knurren klang.
»Schscht!«, mahnte sie ihn leise. »Du hast versprochen, dich zu benehmen! Was soll der Herr Herzog von dir denken? Kein Wunder, dass er böse mit dir ist!«
Ein komischer Laut der Verblüffung löste sich aus den Kehlen der Männer, als Marron leise jaulte und mit seiner großen Zunge zärtlich über Tiphanies linke Hand schlappte. Danach ließ er sich wie ein Schoßhund neben ihr auf die Hinterpfoten nieder und präsentierte ein Bild des vollkommensten Wohlverhaltens.
»Ich fasse es nicht!« Der Herzog schluckte angestrengt und sah entgeistert auf das gefährlichste, unberechenbarste und unbezähmbarste Exemplar seiner scharfen Hundemeute. »Wer seid Ihr, dass Ihr dieses Untier wie ein Kätzchen dressiert und zum Gehorsam gebracht habt?«
»Ich bin ...« Tiphanie kam nicht weiter, denn Jannik de Morvan hatte endlich seine Sprache wieder gefunden.
»Erlaubt, dass ich Tristane de Branzel vorstelle, Euer Gnaden. Das Mädchen ist eine entfernte Verwandte von Dame Marthe.
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