Tiphanie – Feuer der Sehnsucht
sein? Seht doch nur, wie friedlich er ist ...«
»Friedlich?« Dame Marthe begutachtete das eindrucksvolle Gebiss des Rüden und meldete ihre Zweifel an.
»Höchstens so friedlich wie der Feuer speiende Drache, ehe ihn der heilige Michael mit seiner Lanze aufgespießt hat. Wenn er zur Meute des Herzogs gehört, ist er auf Blut und Töten dressiert!«
»Gütige Mutter Gottes!« Die Kammerfrau rang ihre Hände. »Wir sind alle des Todes!«
»Redet doch keinen Unsinn!«, wies Tiphanie sie entrüstet zurecht. »Er will nichts anderes als Wärme und ein wenig Gesellschaft! Kein Geschöpf Gottes ist so böse, dass es ohne Grund tötet«, behauptete sie in naiver Selbstverständlichkeit. »Warum kann er nicht einfach hier bleiben?«
Tiphanies grenzenloses Vertrauen in das schwarze, beileibe nicht schöne Tier amüsierte die Edeldame. Sie war in ihren jüngeren Jahren eine gute Jägerin gewesen und ihre Erfahrung sagte ihr, dass der Hund allem Anschein nach dieses winzige Mädchen als Autorität akzeptierte. Trotzdem war die Angelegenheit nicht so einfach, wie die Kleine sich das vorstellte.
»Das ist ein Jagdhund des Herzogs. Ihr könnt ihn nicht einfach als Fellvorleger für unseren Kamin okkupieren. Ich vermute, dass er gesucht wird.«
»Man muss dem Seigneur Bescheid sagen«, schlug Tiphanie sonnig vor. »Er hat mit dem Wärter des Zwingers gesprochen, und er wird wissen, was zu tun ist.«
»Tristane! Mein Neffe ist im Rat des Herzogs, und so viel ich weiß, arbeiten sie an den Angriffsplänen für das kommende Frühjahr. Wir können ihn nicht wegen eines davongelaufenen Jagdhundes belästigen!«
Die strikte Ablehnung vertrieb das Leuchten aus Tiphanies Augen. Sie senkte die Lider und schwieg. Sie hatte innerhalb von wenigen Tagen bereits gelernt, dass man Dame Marthe am besten nicht widersprach. Wie es aussah, war der einzige Mensch, der sie gegen ihren Willen zu etwas bewegen konnte, ihr Neffe. Jener Neffe, den Tiphanie nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte und nach dessen Anblick sie sich inzwischen sehnte.
»Armer Marron«, Tiphanie ließ sich ohne große Umstände auf dem Boden neben dem Hund nieder. Sie kannte das Gefühl, unerwünscht und ungeliebt zu sein, und sie nahm an, dass ein Tier unter dieser Ablehnung ebenso litt wie ein Mensch. »Du sollst es nicht bereuen, dass du dich an mich gewandt hast! Ich werde versuchen dir zu helfen.«
»Ihr seid töricht!«, zeterte Amandine.
Dame Marthe hingegen sah tiefer. »Was geht in Eurem Kopf vor, Tristane?«
»Nun, man wird eben seinen Herrn fragen müssen, was mit ihm geschehen soll«, antwortete Tiphanie in schöner Selbstverständlichkeit. »Jean de Montfort ist sein Herr, nicht wahr?«
»Tristane!« Die alte Dame begann sich über ihre Hirngespinste zu ärgern. »Es fehlt Euch wahrhaftig an Erfahrung und Verstand, da hat mein Neffe völlig recht gehabt. Man wird dieses schwarze Ungetüm suchen, bis dahin kann es meinetwegen hier liegen bleiben. Ich bezweifle ohnehin, dass wir es dazu bewegen könnten, diesen Platz zu verlassen.«
Tiphanie schwieg. Der Mann mit dem Halsband und der Peitsche würde kommen, und dieses Mal würde keine Macht der Erde Marron von dem Tod retten können. Ein Jagdhund, der sich lieber von einem Mädchen kraulen ließ, anstatt sein schreckliches Handwerk zu tun, war vermutlich eine echte Schande für den Zwinger des Herzogs.
Marron schien zu ahnen, wie viel von seinem Wohlverhalten abhing. Er blieb auf seinem Platz am Kamin und hob nur den Kopf, wenn Tiphanie sich bewegte. Sogar Dame Marthe und ihre Kammerfrau entspannen sich mit der Zeit. Sie widmeten sich den Wäschelisten und Vorratsproblemen der Burg von Morvan, die Dame Marthe für ihren Neffen führte, wenn sie nicht gerade ihren Pflichten bei Hofe nachkam. Obwohl bereits an die Sechzig, war sie eine Frau von großer Energie und ungebremstem Ehrgeiz.
Trotzdem schien es Tiphanie, als führe sie auf ihrer Seite ein verblüffend müßiges Leben. Die Nadelarbeiten, die Haushaltsdinge und die kleinen Handreichungen, die Dame Marthe von ihr verlangte, waren keine Arbeit für ein Mädchen, das von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang geschuftet hatte, solange es denken konnte. Es blieb ihr genügend Zeit, mit unvoreingenommenen Augen zu sehen und eigene Schlüsse zu ziehen.
So hatte sie längst herausgefunden, dass Dame Marthes ganzes Denken und Handeln nur dazu diente, die Macht des Hauses Morvan zu stärken. Ihr vordringlichstes Ziel schien es zu sein, Jannik mit einer edlen
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