Tiphanie – Feuer der Sehnsucht
mit dem Hof, und nur Marron begleitete sie bei ihren seltenen Ausflügen. Jannik hatte durchgesetzt, dass ihre Tür nicht verschlossen wurde, aber sie blieb trotzdem für sich. Dame Marthe hielt es für hartnäckigen Trotz, aber Tiphanie wusste sich einfach keinen anderen Rat.
Solange sie keine Möglichkeit fand, sich wieder in den Besitz ihres Rosenkranzes zu bringen, konnte sie nicht fliehen. Ärgerlicherweise hütete Janniks Tante das Relikt ihrer Kindheit wie ein Kleinod. Der Anblick ihrer verwüsteten Kemenate bewies ihr jedoch, dass es keinen Sinn hatte, noch länger zu warten. Sie hatte Paskal Cocherel gesagt, wo der Rubin zu finden war, und sie zweifelte keinen Moment daran, dass ihr so rücksichtslos durchwühltes Gemach auf seinen Befehl zurück ging.
»Schscht, Marron!«, mahnte sie den Hund, der die Folgen seiner Verwundung längst überwunden hatte und mit frischen Kräften an seiner Leine zerrte. Er roch die fremden Hände, die das Hab und Gut seiner Herrin durchwühlt hatten, und er fühlte den zitternden Schrecken, der sie selbst durchlief. Er wollte die Fährte aufnehmen, den Übeltäter stellen, aber Tiphanie gab ihm die Leine nicht frei.
»Es hat keinen Sinn, mein Freund«, murmelte sie mehr an sich selbst als an ihn gewandt. »Ich hätte es ihm nicht sagen dürfen!«
»Was hättest du wem nicht sagen dürfen?«
Mit einem leisen Aufschrei fuhr Tiphanie zusammen, obwohl sie Janniks Stimme beim ersten Laut erkannt hatte. Es war lästig, dass Marron sie nie vor seiner Anwesenheit warnte, wie er es bei allen anderen tat. Er war anscheinend der seltsamen Ansicht, dass es in diesem speziellen Falle nicht nötig sei. Da sie ohnehin eins waren.
Das kurze Herumfahren ließ den Samtumhang um ihre Schultern wehen, so dass er die Konturen ihrer geschmeidigen Gestalt nachzeichnete. Das tiefe Waldgrün mit dem bräunlichen Marderpelz ließ die Locken im Schatten der Kapuze wie Silber flimmern und verlieh den türkisfarbenen Augen jenen rätselhaften Schimmer zwischen sonnenüberglänztem Meer und geheimnisvollem Edelstein.
Er war ihr zur Kirche gefolgt, wie er es jeden Morgen tat. Gefesselt von der ernsthaften Frömmigkeit, mit der sie ihre Gebete sprach. War sie wirklich zur Nonne bestimmt? Konzentrierte er seine unfrommen, fleischlichen Wünsche vielleicht auf eine junge Frau, die einen Teil jener reinen Heiligkeit besaß, welche den Menschen so schwerfiel?
Zwischen Verlangen und Verunsicherung schwankend, hoffte er seit Tagen inständig, dass sich die Waage zu seinen Gunsten senken würde. Aber wenn sie ihn so ansah wie jetzt, beschlichen ihn Zweifel.
»Müsst Ihr mich erschrecken?«, sagte sie tonlos und ließ die Hand wieder sinken, die sie im ersten Schock auf das Herz gepresst hatte. »Genügt das hier nicht?«
Erst jetzt nahm er den Zustand des Zimmers zur Kenntnis, der sie dazu veranlasst hatte, wie eine Statue auf der eigenen Schwelle zu verharren. »Zum Henker, das sieht aus wie nach einem Wirbelsturm! Was ist passiert?«
»Ich weiß es nicht.« Tiphanie trat endlich ein. »Als ich vorhin zur Andacht ging, war alles in Ordnung. Es sieht so aus, als habe jemand nur gewartet, bis ich mit Marron den Raum verlasse.«
»Hier wurde etwas gesucht!«, stellte Jannik mit einem kurzen Blick fest, ehe er Tiphanie eindringlich ins Visier nahm. »Was?«
»Ich weiß es nicht!«
Die Lüge war so offensichtlich, dass es der Röte nicht bedurft hätte, die verräterisch in ihre schmalen Wangen stieg. Er stieß schnaubend die Luft aus und schloss endlich die Pforte zum Gang, damit es keine weiteren unliebsamen Zeugen gab. Marron schnüffelte über die Spuren der Zerstörung hinweg, während sich die beiden Menschen belauerten. Ein jeder nur darauf aus, eine Schwäche beim anderen zu entdecken.
»Warum hast du kein Vertrauen zu mir?«, knurrte der Ritter und verbarg hinter seiner üblichen schroffen Fassade, wie sehr sie ihn damit kränkte.
»Ich weiß es nicht!« Tiphanie überließ es seiner Phantasie, ob sie damit auf die erste oder die zweite Frage antwortete.
Sie spürte den Zorn, der von ihm ausging. Die Leidenschaft, die körperliche Präsenz seiner Gegenwart, die dafür sorgte, dass das Blut schneller durch ihre Adern kreiste und ihr Atem hastiger ging. Er vermochte allein mit seiner bloßen Anwesenheit einen Zauberbann über sie zu werfen, den sie fürchtete.
»Jemand, der so haust«, seine Armbewegung umfasste das chaotische Gemach, »wird auch keine Skrupel haben, gegen dich Gewalt
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