Titan 22
verstöpseln, nur daß sie selbst mit Taucheranzügen nicht so weit hinunterkonnten; und da blickte sie von ihrem Buch auf und sagte:
»Erinnerst du dich an das von der Mutter?«
»An was?«
»Eine ganz alte Geschichte. Ich glaube, ich habe einmal gehört, sie sei mindestens halb so alt wie die Zeit, oder vielleicht eine griechische Fabel oder etwas dergleichen – jedenfalls hat die Mutter einen Sohn, der die Freude ihres Herzens ist und all das sonst noch, was ein Sohn für eine Mutter sein könnte. Und dann verliebte sich der Sohn in eine böse Frau – sehr böse und sehr schön. Es ist sein Wunsch, ihr zu gefallen, o ja, und dann sagt er zu ihr ›Was auch immer du begehrst, ich werde es dir bringen‹…«
»Etwas, das man nie zu einer Frau sagen darf«, warf ich ein.
»Damit will ich mich jetzt gar nicht auseinandersetzen«, sagte Martha milde, »weil sie darauf antwortete, das, was sie sich auf dieser Welt am meisten wünschte, sei das lebende Herz seiner Mutter, aus ihrer Brust gerissen. Und was tut dieser wertlose, mörderische, idiotische Mann – er rennt nach Hause zu seiner Mutter, reißt das Messer heraus, schlitzt sie von der Brust bis zum Bauch auf und reißt ihr das lebende Herz aus dem Körper…«
»Deine Geschichte gefällt mir nicht.«
»… und mit dem Herzen in der Hand rennt er zu seiner Geliebten zurück. Aber auf dem Weg durch den Wald verhängt er sich mit dem Fuß in einer Wurzel, stolpert und stürzt kopfüber, so daß ihm das Herz der Mutter aus der Hand fällt. Und während er sich hochstemmt und wieder auf das Herz zugeht, sagt es zu ihm: ›Hast du dir beim Fallen wehgetan, mein Sohn?‹«
»Eine reizende Geschichte. – Was beweist sie?«
»Nichts, denke ich. Werden die die Blutung je stillen können?
Werden sie die Wunde je schließen?«
»Ich glaube nicht.«
»Wird dann deine Mutter verbluten?«
»Meine Mutter?«
»Ja.«
»Oh.«
»Meine Mutter«, sagte Martha. »Wird sie verbluten?«
»Ich denke schon.«
»Und das ist alles, was du mir sagen kannst: ich denke schon… ?«
»Was sonst?«
»Und wenn du ihnen gesagt hättest, daß sie nicht weitermachen sollen?«
»Das hast du mich schon zwanzigmal gefragt, Martha. Ich habe es dir doch gesagt. Sie hätten sich einen anderen Wünschelrutengänger besorgt.«
»Und dann noch einen anderen? Und noch einen?«
»Ja.«
»Warum?« schrie sie. »Um Himmels willen, warum?«
»Ich weiß nicht.«
»Aber ihr lausigen Männer wißt doch sonst alles.«
»Meistens wissen wir nur, wie man tötet. Wir haben nie gelernt, etwas wieder lebendig zu machen.«
»Und jetzt ist es zu spät«, sagte Martha.
»Ja, zu spät«, pflichtete ich ihr bei, und dann fuhr ich fort, meine Zeitung zu lesen. Aber Martha saß nur da, das offene Buch im Schoß und sah mich an. Nach einer Weile klappte sie ihr Buch zu und ging nach oben zu Bett.
Originaltitel: »The Wound« Copyright © 1969, 1970 by Howard Fast aus »The General Zapped an Angel«, erschienen bei William Morrow Co. Inc. New York
TEIL ZWEI
Drei grüne Grashalme
Im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert waren Predigten so populär, daß man sie nicht nur auf die Kirchen beschränken konnte. Viele fanden Käufer für ihre gedruckten Predigten, die von Gentlemen dann in Kalbsleder gebunden und in eindrucksvollen Reihen in ihre Bibliotheken gestellt wurden.
Aber eigentlich ist diese Mode nie ausgestorben. In der Science Fiction leben sie fort. Im letzten Jahrzehnt sind die Predigten sogar zu neuem Leben erwacht, etwa so wie Frankensteins Ungeheuer, und eine Weile drohten sie sogar alles andere zu verdrängen. Viele Autoren, darunter auch wohlbekannte Namen wie Robert Silverberg, John Brunner und Mack Reynolds haben viel Zeit und Talent darauf verwendet, um uns zu zeigen, wie schnell die Menschheit durch Übervölkerung und Überproduktion, übermäßige Umweltverschmutzung und all das andere sich selbst zugrunderichtet. Zuerst beugt man zustimmend das Haupt und sagt: ja, ja, das alles ist meine Schuld.
Aber einmal ertappte ich mich dabei, wie ich auch das Haupt beugte, während ich Silverbergs Roman The Time Hoppers {4} in den Norfolk Broads las. Nun ist The Time Hoppers ein Roman, der einem viele kleine Freuden bereitet – verfaßt, bevor Silverberg modern zu schreiben sich verpflichtet fühlte, und New Silverberg wurde. (Ich lache nicht über Bob Silverberg. Er ist ein hochgeschätzter Freund. Ich bewundere sowohl seinen Mut zum Wandel wie auch den Erfolg, mit
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