TITANIC-WORLD
Ruf über das Deck – lower away !
„Es ist saukalt“, bemerkte Marc plötzlich und zog fröstelnd die Schultern hoch. Die vier saßen alleine im Bug, ein bisschen abgesondert vom Rest der Klasse. Joshua zog geräuschvoll den Reißverschluss seiner Jacke zu und maulte: „In der Erlebniswelt hab‘ ich mir schon den Arsch abgefroren. Ich krieg‘ bestimmt ’ne Erkältung.“
Keiner der drei anderen reagierte darauf, denn Jasmina fragte gerade verwundert: „Wieso wird’s denn jetzt schon dunkel? Es ist doch bestimmt erst viertel nach fünf.“
Wie auf Kommando sahen Georgia, Marc und Joshua auf ihre Handys – 17.27 Uhr. Sie warfen sich einen unbehaglichen Blick zu und rückten enger zusammen. Die ganze Atmosphäre schien mit einem Mal verändert zu sein. Die Nacht war dunkel und kalt; der Geruch von Eisbergen lag in der Luft. Plötzlich schrie Georgia leise auf und zeigte mit einem bebenden Finger in Richtung Heck. Rettungsboot 13 war bis auf den letzten Platz gefüllt. Zwischen Frauen und Kindern – die dem Aussehen nach nur aus der zweiten oder dritten Klasse stammen konnten – saßen viele Besatzungsmitglieder; darunter leicht bekleidete Heizer und Trimmer, die in der eisigen Nachtluft zitterten. Ungläubig starrten die vier die Menschen an und Joshua murmelte: „Alter Schwede. Ich frag‘ mich, wie die das hingekriegt haben.“
„Die sind echt“, flüsterte Jasmina ängstlich und umklammerte seinen Arm. „Sieh doch! Der Matrose da hinten ist aufgestanden und redet mit dem Mann an der Reling – und ich kann nichts hören!“
„Die haben halt vergessen, den Ton anzudrehen“, antwortete Joshua mit einem zittrigen Lachen und klopfte Jasmina ein paar Mal auf den Rücken. Doch so ganz wohl war ihm trotz seiner eigenen Beteuerung selbst nicht zumute. Verunsichert sah er zur Seite. Marc und Georgia saßen eng aneinder geschmiegt da und zitterten wie Espenlaub. Mit ungläubig aufgerissenen Augen verfolgten sie die Szene, die sich nun lautlos abzuspielen begann. Lawrence Beesley stand an der Reling und blickte demvollbestzten Boot nach. Zwei Decks tiefer stoppte es plötzlich. Ein Matrose sah hinauf und fragte: „Sind da noch Frauen und Kinder?“ Mr. Beesley schüttelte verneinend den Kopf. „Nun, dann sollten Sie besser springen“, rief ihm der Matrose zu – und Mr. Beesley sprang.
Das Boot schwankte ein bisschen unter dem Aufprall und alle vier stießen einen erschrockenen Schrei aus. Doch bevor sie weiter nach unten gleiten konnte, stieg schnell noch eine junge Frau mit einem Baby auf dem Arm zu. Als sich das Boot langsam wieder in Bewegung setzte, sprang der Ehemann hinterher. Dann ging es ohne weitere Unterbrechungen abwärts. Die vier Teenager saßen dicht aneinander gedrängt im Bug. Immer wieder sahen sie mit ängstlichen Blicken ihre Mitreisenden an. Tote Augen, in deren Untiefen, Leid, Trauer und Hoffnungslosigkeit glomm, starrten sie an. Feindseligkeit – wie ein Schwall kalter Luft – schlug ihnen entgegen.
„Ich will hier weg“, wimmerte Georgia und barg ihren Kopf an Marcs Schulter. Ein bisschen unbeholfen zog er sie enger an sich. Dann flüsterte er so leise, dass nur sie ihn verstehen konnte: „Ich hab‘ auch Schiss!“
Mit einem leisen Platschen setzte das Boot auf dem Wasser auf. „Fast geschafft“, murmelte Joshua den anderen aufmunternd zu. Zum Glück fragte ihn niemand, was er damit wohl meinte, denn das wusste er selbst nicht genau.
Ganz gemächlich driftete Rettungsboot 13 am Rumpf der TITANIC-WORLD entlang. Jasmina – die wie gebannt die altmodisch gekleideten Menschen beobachtet hatte – bemerkte es, aber ihr blieb noch nicht einmal mehr die Zeit sich darüber zu wundern, denn sie begriff als erste, dass sie alle in Lebensgefahr schwebten! Ihr Boot trieb unter ein weiteres Rettungsboot. Sollte es ihnen nicht schnell genug gelingen, sich von dem sinkenden Schiff abzustoßen, dann waren sie alle verloren! Das Boot über ihnen würde sie unweigerlich ertränken! Als sie sah, dass ihre drei Freunde den Ernst der Situation zwar erkannt hatten, aber vor Angst wie erstarrt da saßen, stieß sie einen Schrei aus.
„Jetzt tu doch was“, herrschte sie Joshua an und gab ihm einen derben Stoß. Doch der reagierte nicht; das Entsetzen hatte ihn gelähmt. „Jetzt tut doch endlich was“, brüllte sie wieder und sprang auf die Beine. Marc sah sie mit einem erschütterten Gesichtsausdruck an; aber auch er rührte sich nicht. Georgia liefen die Tränen über die Wangen;
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