Titos Brille – Die Geschichte meiner strapaziösen Familie
Israel ist – gelinde gesagt – schwierig. Früher, wenn ich mit meinen Eltern nach Israel reiste, begannen uns unsere Verwandten direkt am Ben-Gurion-Flughafen zu beschimpfen: Wie wir nur in Deutschland leben könnten? Im Land der Täter! Mit ausschließlich SS -Leuten als Nachbarn! Wir schwiegen und fühlten uns ertappt. Fortan bemühten wir uns, alles an Israel besonders schön zu finden – was nicht ganz leicht war. Schon auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt bewunderten wir lauthals die potente Klimaanlage, obwohl sie uns armen Nordeuropäern wahrscheinlich einedicke Lungenentzündung bescheren würde. Nannten die Umgebung belebt, obwohl es einfach nur laut war. Und der Hummus, den man uns in einem Plastikbehälter zur Begrüßung reichte, der bestimmt sehr gesund war, und den wir in den allerhöchsten Tönen lobten, schmeckte schlichtweg nach Tonerde. Wir wussten, dass wir das Land zu lieben hatten, aber nicht genau, wie das gehen sollte.
Ich hatte nie viel Glück mit Israel, meine Reisen waren stets mehr als merkwürdig.
Nach dem Abitur wollte ich zum ersten und einzigen Mal nach Israel auswandern. Ich erreichte Israel per Schiff, wie ein richtiger Profi: Ancona – Piraeus – Haifa. Die Überfahrt sollte das Beste bleiben am Auswandern. Ich hatte drei Liebhaber an Bord, denen ich versprach, meine Zukunft mit ihnen zu verbringen. Sie stiegen, wie praktisch für mich, nacheinander aus.
Der Erste, Basti aus dem Allgäu, transportierte Lkws in den Iran. Warum er diese Route wählte, weiß ich nicht. Er war blond und praktisch veranlagt, ein echter Mechaniker eben. Der Zweite, Jossi, Diskothekenbesitzer aus München, wollte eine Dependance in Tel Aviv aufmachen. Er war geistreich und reich, eine glückliche Kombination, und von unschlagbarem Zynismus. Der Dritte hatte die meisten Chancen bei mir. Er wanderte aus wie ich, Medizinstudent aus Koblenz, der bis zur Abfahrt Robert Kahn, auf dem Schiff aber schon Robbi Cohen hieß. Ich teilte im Wechsel mit ihnen die Kojen, mein Geld hatte nur für einen Platz an Deck gereicht. Wir sangen und lachten viel, meist alle zusammen – und ich fand, dass der Zionismus Spaß machte und eine richtig gute Sache war.
Die ersten Lichter von Haifa waren überwältigend. Meine Freiheitsstatue, dachte ich an jenem frühen Morgen. Ich sollte es nie wieder denken. Wir umarmten uns an der Reling.
Ich wurde von einem Freund meiner Eltern abgeholt, einem ehemaligen Bürgermeister von Netanya. Ein alter Jecke,so um die achtzig. Er war gebürtiger Gießener und hatte die Stadt noch mehrmals besucht, immer dann, wenn »Gießen seine Juden einlud«. Ein Besserwisser vor dem Herrn, der mit seiner rechtzeitigen Flucht aus Nazideutschland selbst vor den Toten noch angab.
Er hielt mir einen kurzen Vortrag über die Wichtigkeit des Immigrierens. Dann brachte er mich zu seinem Lieblings-Kibbuz, in der Nähe von Haifa – so weit, so gut. Von jetzt an standen meiner Begeisterung für den Zionismus wie auch meiner Liebe zu Israel schwere Prüfungen bevor.
Der Kibbuz, ebenso ehemalig wie der Bürgermeister, war auf Hühnerzucht und Baumwolle spezialisiert. Das Durchschnittsalter betrug an die siebzig, mit geringen Ausnahmen. Die wenigen Jugendlichen des Kibbuz waren bei der Armee. Außer ein paar Kindern gab es nur verbitterte, alte deutsche Juden und angeheiratete Israelis. Ich hatte gehört, dass man in den Kibuzzim den sozialistischen Geist, die aliyah , leben und lieben lernen sollte. Hier aber war tote Hose, Arbeit, Verbitterung und Stillstand. Ein alter Mann gab mir Unterricht in Hebräisch, er war streng und grundsätzlich übel gelaunt. Erst später erfuhr ich, dass er aus Berlin stammte und Deutsch sprach. Nicht einmal, wenn ich vor den Buchstaben zusammenbrach, weil ich nichts, aber auch gar nichts verstand, half er mir aus. Er starrte mich an, rächte sich an mir und an der deutschen Sprache, wo wir beide doch so wenig dafür konnten. Früher war Neve Yam, so hieß der Kibbuz, ein junger, aufblühender Kibbuz gewesen. Jetzt waren die Jugendlichen beim Militär und die volunteers halfen bei der Baumwollernte oder der Versorgung der Hühner. Es gab neben mir noch fünf weitere. Sie waren allesamt aus Südafrika, sehr blond und vollkommen zugekifft. Israel war ihr Drogen-Mekka. »So günstig wie hier bekommst du nirgends einen guten Afghanen«, predigten sie mir. »Alles frische 1A-Ware direkt aus dem Iran über Syrien, Jordanien, oder direkt ausÄgypten … vom grünen Libanesen
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