Tochter der Insel - Historischer Roman
Beiläufig wanderte ihr Blick vom Kapitän zu dem Stutzer, dessen Miene nichts verriet. Seine gepflegten Hände verharrten reglos.
»Wie viel haben Sie gesetzt?«, krächzte der Kapitän ungläubig.
»Ich sagte, ich gehe mit und erhöhe noch einmal um dasselbe.«
Der Kapitän warf seine Karten auf den Tisch. »Full House! Und jetzt lassen Sie mich sehen!«
Er streckte schon die Hand nach den Scheinen aus, da legte Bell lässig vier Zweier auf den Tisch.
»Das kann nicht mit rechten Dingen zugegangen sein!« Wütend fegte der Dicke alle Karten auf den Boden. Seine Hand fuhr zum Gürtel und plötzlich hatte er ein Messer in der Hand.
»He, he, mein Freund!« Nikolas war sofort zur Stelle.
»Dieses verdammte Weib muss betrogen haben!« Bedrohlich kam er auf Bell zu. »Geben Sie es zu, sonst … «
Nikolas stürzte sich auf den massigen Mann. Alles ging plötzlich sehr schnell. Fäuste klatschten vor, Schreie und dann flog ein Messer durch den Raum und blieb im Holz des Pokertisches stecken.
Ein Mann im eleganten Geschäftsanzug mit dem Kreuz eines Ochsen bahnte sich einen Weg durch die Menge, die sich um die Kämpfenden geschart hatte. Die Musik verstummte. Mit einer einzigen Handbewegung riss er die beiden Streithähne auseinander.
»Wir dulden keine Schlägereien im Full House! « Seine Stimme war tief und dröhnend. »Es ist außerdem verboten, Waffen mitzubringen. Ich werde nach dem Town Marshall schicken. Wem von Ihnen gehört das Messer?« Mit zusammengekniffenen Augen musterte er die beiden.
Während der Kapitän bei den Worten des Mannes erbleichte, schien Nikolas unbeeindruckt.
»Das Messer gehört mir.« Scheinbar zerknirscht blickte Nikolas auf. »Können wir beide uns vielleicht draußen unter vier Augen unterhalten? Ich werde Ihnen alles erklären. Das erspart dann vielleicht den Marshall. Es gab ein kleines Missverständnis. Meine Schuld. Ich bin zum ersten Mal in diesem Lokal und mit den Regeln nicht vertraut.«
Würdevoll nickte ihm der bullige Hüter zu und gemeinsam schritten die beiden zur Tür.
»Gott im Himmel, da hätte ich fast meine Existenz verspielt. Dieser verdammte Jähzorn!«, murmelte der Kapitän mit bleichem Gesicht.
Kurze Zeit später kehrte Nikolas zu ihnen zurück. Er sah zufrieden aus.
»Ihr Messer wurde natürlich einkassiert«, raunte er dem Kapitän zu. Dieser entschuldigte sich vielmals, gab eine Runde aus und verließ dann schnellen Schrittes das Lokal.
Bell prostete Nikolas zu. »Vielen Dank für Ihre Hilfe. Ich habe übrigens nicht betrogen.«
»Das war mir klar. Sie haben den Kapitän glauben gemacht, ein ordentlich schwaches Blatt zu haben, und ihn dann zu einem erhöhten Einsatz gereizt.«
Nachdenklich betrachtete Bell ihn. »Es war leicht, ihn zu bluffen. Ich frage mich die ganze Zeit, warum Sie für diesen Kerl Ihren Hals riskiert haben.«
»Ich wusste, dass er morgen mit einem der Dampfboote ausfahren muss. Wenn er inhaftiert worden wäre, hätte ihn das vielleicht seine Anstellung gekostet.«
»Was geht es Sie an, ob dieser Hitzkopf seine Stellung verliert. Sie sind ihm doch nichts schuldig!«
»Das wohl nicht, aber wenn ich jemandem helfen kann, dann tu ich es. Der Kapitän ist kein schlechter Kerl, nur zu aufbrausend. Einer von der wütigen Sorte, die handeln, ohne nachzudenken. Er sollte entweder keine Waffe tragen oder sich von Spielhäusern fernhalten.«
»Nikolas, du bist einfach zu gut für diese Welt«, sagte Lea liebevoll.
Bell schüttelte den Kopf. »Das zahlt sich nicht aus. Ich meine, zu viel Güte. Wenn andere streiten, dann hält man sich am besten raus. Das Gleiche gilt für Elend und Unglück. Es bleibt einem nichts anderes übrig, als mit geschlossenen Augen daran vorbeizugehen.«
»Meine liebe Bell, du bist nicht so hart, wie du uns glauben machen willst. Ich denke nur an Christine, die Tänzerin. Ohne deine Hilfe wäre sie im Gefängnis gelandet. Und mir hast du auch geholfen, damals bei unserer Abreise. Als Gärber auf das Schiff kam.«
»Ihr zwei seid mir wie Schwestern. Außerdem bin ich dir ja wohl zu mehr als das verpflichtet. Aber mich für Fremde einsetzen – entschuldige, aber das würde mir nie einfallen. Es gibt überall Ungerechtigkeit und Not. Da würde ich ja Tag und Nacht kein Ende finden.«
»Es gelingt nicht allen und jedem zu helfen, da stimme ich Ihnen zu. Aber man kann einen Anfang wagen. Viele Tropfen Hilfe können zu einem reißenden Fluss werden«, sagte Nikolas leise.
Nach seinen Worten blieb es eine
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