Tochter der Insel - Historischer Roman
beklagen.«
»Aber die werte Dame duldet bestimmt keinen Herrenbesuch, stimmt’s?«
»Richtig!« Lea lächelte. »Doch das beschwert mich nicht.« Dann wurde sie unvermittelt ernst. »Wir sind in der Nähe des Friedhofs. Bell, ich würde dir gerne etwas zeigen.«
Je näher sie der Kirche kamen, desto mehr verblasste das unruhige Treiben ringsherum. Die beiden Frauen ließen sich auf der Bank vor einem schlichten Gedenkstein nieder, der mit wenigen Worten an das Unglück auf dem Mississippi erinnerte, bei dem Rebekka ertrunken war.
»Wenn ich Sehnsucht nach Ruhe und Frieden habe, dann treibt es mich hierher. Es ist meine einzige Verbindung zur Vergangenheit.«
Bell griff nach ihrer Hand. »Du bist immer noch traurig. Das ist ganz natürlich. Doch dein Leben hier in Amerika ist so voll und ereignisreich.«
»Und doch kommt es mir manchmal so vor, als ob etwas Wesentliches fehlte. Ich habe meine Arbeit, Freunde, Bekannte, aber niemanden, mit dem ich verwandt bin. Rebekka war alles, was ich hatte. Vielleicht zieht es mich deshalb immer wieder hierher.«
»Hast du eigentlich jemals wieder etwas von Wangerooge gehört?«
»Ich habe Hiske geschrieben, aber bisher noch keine Antwort bekommen.«
»Und dieser junge Mann, in den du damals verliebt warst?«
Bells unverblümte Fragen brachten Lea nicht mehr in Verlegenheit. Sie kannte die Freundin lange genug, um zu wissen, dass sie aus Interesse und nicht aus Neugier gestellt wurden.
»Ich habe daran gedacht, Immo zu schreiben. Oft schon. Es gibt so viele Erlebnisse, die ich nur zu gern mit ihm teilen würde. Doch abends in meinem Zimmer, wenn ich Papier und Tinte zur Hand habe, dann fallen mir plötzlich die richtigen Worte nicht mehr ein.«
»Er geht dir immer noch nicht aus dem Kopf, stimmt’s?«
Lea nickte. »Sogar, als ich glaubte, in Joris verliebt zu sein, da habe ich mich manchmal nach Immo gesehnt. Zwischen uns ist etwas … « Sie suchte nach Worten und sagte schließlich: »Ich kann es dir nicht beschreiben. Einmal, da habe ich es Herzensnähegenannt. Es ist das Wissen, zu jemandem zu gehören. Ich empfinde es selbst hier in Amerika, wo Immo doch so weit von mir entfernt ist. Kannst du dir das erklären?«
»Ist es vielleicht Heimweh, Lea? Sehnst du dich tatsächlich nach Immo oder mehr nach Wangerooge?«
Lea seufzte. »Irgendwie nach beidem. Ach Bell, ich weiß es nicht. Im Grund ist es ja auch gleich. Was ich weiß, ist, dass Immo mich nicht liebt. Von daher ist es am besten, wenn ich mir jeden Gedanken an ihn aus dem Kopf schlage. Auch das ist ein Grund, warum ich Hiske geschrieben habe. Vielleicht lese ich in ihrem Antwortbrief, dass er längst geheiratet hat. Es mag sein, dass Carlotta zurückgekehrt ist. Wer weiß … « Sie zuckte die Achseln.
»Ich glaube, du bist immer noch in ihn verliebt. Mädchen, vergiss diesen Burschen endlich! Die Vergangenheit ist vorbei. Wir leben im Heute. Du musst vorwärtsgehen, deiner Bestimmung und besseren Zeiten entgegen. Und du bist auf dem richtigen Weg dorthin, das sehe ich doch! Vielleicht verklärt sich in deiner Erinnerung alles nur.
Es ist gut, dass du dieser alten Frau geschrieben hast. Knüpfe wieder einen losen Faden nach Wangerooge. Lass dir von ihr erzählen, was auf der Insel geschieht. Und, Lea, fang endlich an zu leben! Du bist ein so hübsches Mädchen. Es gibt doch bestimmt genug Burschen in dieser Stadt, die sich für dich interessieren. Vielleicht solltest du ab und zu mal eine Einladung annehmen, dich nach einem netten Begleiter für die freien Tage und langen Nächte umsehen. Das könnte dich auf andere Gedanken bringen. Ich zumindest würde es ausprobieren.«
Als sie Leas abwehrende Handbewegung sah, lachte Bell. »Verabschiede dich endlich von deiner Artigkeit!«
»Ich glaube, das gelingt mir nicht, Bell. Niemand kann aus seiner Haut.«
»Na ja, da deine Witwe Herrenbesuch sowieso nicht gestattet, ist dies sicher eine ganz nützliche Entscheidung. Obwohl – mir würde es nicht schmecken. Du glaubst nicht, wie gut bewundernde Männerblicke tun und was für ein Gefühl es ist, auf Händen getragen zu werden.«
2
M ake your game, gentlemen!«, klang es zu ihnen herüber, als sie das Spielhaus betraten. Das Klappern der Würfel übertönte fast die Klaviermusik. Aufgesetztes Gelächter drang an Leas Ohr. Zögernd folgte sie Bell in einen von Tabakgeruch geschwängerten Raum. Der Boden war mit weichen Teppichen ausgelegt und von der Decke hingen samtene Baldachine. Eine Vielzahl von
Weitere Kostenlose Bücher