Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten
einen gehässigen Blick zu und ging dann. Als er die Tür aufstieß, trieb ein Windstoß Sand herein. Hinter ihm fiel die schwere Tür mit einem endgültigen Geräusch zu.
»So, und jetzt zu dir.« Malina zog ihr Schwert und schlich lauernd um sie herum wie eine Raubkatze, die sich nicht entscheiden konnte, von welcher Seite sie angreifen wollte. Angst kroch in Gabriella hoch. Und zugleich wurde ihr die Absurdität dieser Situation bewusst: Sie hatte eine Schwester, und ausgerechnet diese war ihre Todfeindin. Sie sehnte sich in diesem Moment mit jeder Faser in die Sicherheit ihrer Heimat zurück. Zu Antonio und seinen Suppenschüsseln. In ihre Wohnung. Zu Rita. »Ich habe gehört, dass wir Halbschwes-tern sind«, versuchte sie, an die familiären Instinkte der anderen zu appellieren.
Sie hätte wissen müssen, dass es sinnlos war, denn Malina lachte nur höhnisch auf. »Du willst mit mir verwandt sein? Ein Bastard? Und selbst wenn – ich habe keinen Vater mehr. Für mich ist er an dem Tag gestorben, an dem er meine Mutter den Nebeln vorwarf.«
Gabriella sah sich um. Der Weg zum Tor war ihr von Malina abgeschnitten. Sie bereute jetzt nicht nur, Tabor gefolgt zu sein, der sie in diese Falle gelockt hatte wie ein Schaf, sondern auch, Darran nicht Bescheid gesagt zu haben, als sie sich auf die Suche nach ihrem Vater gemacht hatte.
Malina lachte, als Gabriella hinter einem Sarkophag verschwand. »Wo willst du hin? Vielleicht zu ihm hinein? Als Schatten umherziehen? Es wäre eine gerechte Strafe. Allerdings würde ich dir dein Gedächtnis lassen, damit du es auch wirklich genießen kannst.« Malina zischte diese Worte wie eine Schlange, und mit dem vorgestreckten Kopf und dem starren Blick, sah sie für Gabriella auch einer ähnlich.
Gabriella schob sich schrittweise zur Tür. Der Kraftplatz lag näher als das Haus, wo Darran mit seinen Leuten auf sie wartete, und wenn es ihr gelang, an Malina vorbei und zu ihrem Vater zu kommen, dann würde er seine Tochter gewiss zur Vernunft bringen! Darin lag ihre einzige Chance. Sie rannte los, erreichte den Ausgang nur zwei Meter vor Malina, riss die Tür auf, prallte jedoch zurück, als plötzlich zwei Männer vor ihr standen und sie wieder zurück in die Halle drängten.
Und dann war Malina da. Gabriella wich ihr aus, taumelte, stolperte, drehte sich und stürzte zu Boden. Genau auf das rechte Knie. Sie versuchte aufzustehen und sank wieder ein. Die Kniescheibe stand in einem abnormen Winkel ab. Mit zusammengebissenen Zähnen streckte sie das Bein aus, packte ihre Kniescheibe mit beiden Händen und schob an. Sie schrie unterdrückt auf. Der Schmerz war so scharf, dass es für Sekunden dunkel vor ihren Augen wurde. Gabriella zog sich an einem Sarkophag hoch, das verletzte Bein gerade ausgestreckt.
Malina kam gemächlich auf Gabriella zu, wie jemand, der es nicht eilig hatte, zu töten, sondern sich genüsslich alle Zeit der Welt lassen konnte. Sie hob das Schwert, Gabriella wich zurück, hinter sich die Wand.
Malina wollte gerade zuschlagen, als eine Stimme sie aufhielt: »Das würde ich mir noch überlegen.«
Zu Gabriellas Überraschung betrat der blonde Jäger die Halle. Jener, der ihr geholfen hatte, durch das Tor zu kommen. Ihr aufflackerndes Fünkchen Hoffnung wurde jedoch auf der Stelle zunichtegemacht, als er sich neben Malina stellte und Gabriella von oben bis unten musterte. »Ware, die man für Verhandlungen benützen will, sollte man unbeschädigt lassen. Vorerst jedenfalls.«
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Es war kurz vor Einbruch der Nacht, als Strabo die Stufen des Pavillons hinabstieg. Zum ersten Mal seit langer Zeit hatten die Ahnen zu ihm gesprochen. Aber ihre Worte hatten ihm Angst gemacht, sie verhießen Krieg und Gefahr. Gefahr vor allem für Gabriella. Sein Herz wurde schwer, als er an seine Tochter dachte. Alles war umsonst, wenn er Gabriella nicht schnell wieder in ihre Welt zurückbrachte. Die Nebel würden sie aufsaugen, sie töten. Ihre Magie war zu schwach, um ihnen zu widerstehen.
Auch seine eigene Kraft ging verloren. Wie sollte er länger das Land und die wachsende Unzufriedenheit seines Volkes beherrschen, wenn sogar seine eigene Tochter gegen ihn arbeitete? Malina hatte nie begriffen, dass nicht er es war, der die Nebel rief, um zu urteilen und … zu vernichten. Er hüllte sich in seinen Mantel, als ein Windstoß ihm Sand ins Gesicht schleuderte. Strabo schauderte. Es war ihm, als raunte ihm der aufkommende Sturm eine Warnung vor Tod und
Weitere Kostenlose Bücher