Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten
um.
Der Mann, dem sie zu essen gegeben hatte, war tatsächlich am nächsten Abend gekommen und hatte sich nach einigem Zaudern als Markus Meier vorgestellt. Der Name war vermutlich falsch, doch von jemandem, der ihr nun schon seit Tagen verlässlich half, Kisten und Flaschen zu schleppen, bis Murat später am Abend kam, um weiterzumachen, verlangte man bestimmt keinen Ausweis.
Aber was ging ihn Rita an? »Sie hat noch Urlaub.«Sie beäugte ihn mit abweisender Miene. Er schien es nicht zu bemerken. Vermutlich, weil er ihrem Blick auswich.
»Sie ist jetzt schon einige Tage weg.«
»Ja. Und?« Rita hatte ihren Urlaub verlängern müssen, weil sich das Happening ihres Liebsten noch hinausgezögert hatte. Gabriella argwöhnte eher eine verlängerte Sauftour mit seinen Kumpanen, von der der liebe Schurli erst zurückkehrte, wenn Ritas Geld ausgegangen war.
Markus mied konsequent ihren Blick. »Nur so. Ich dachte nur, weil Sie die Arbeit allein machen müssen.«
Gabriella zuckte mit den Schultern. »Ist nicht so schlimm. Und Sie helfen mir ja.« Das tat er tatsächlich. Er schleppte nicht nur Kisten, sondern wusch dazwischen sogar das Geschirr ab. Zuerst ungeschickt und fast ein wenig amüsiert, dann schon sehr versiert.
Rita schien ihn zu interessieren. Ob er sie letztens durch das Fenster beobachtet und irgendwie erschreckt hatte? Gabriella musterte ihn kurz. Er hatte nach Kisten mit vollen Getränkeflaschen gegriffen, um sie ins Lager zu tragen. Links und rechts je eine. Er war kräftiger, als es bei seiner hageren Gestalt aussah, und hielt die schweren Kisten wie sie einen leeren Einkaufskorb. Sie fragte sich, wo er übernachtete. Er hatte jeden Tag dasselbe an, sah aber ganz manierlich aus und hatte jetzt immer saubere Hände und ein sauberes, rasiertes Gesicht. Er roch nicht mehr nach Gras und Erde, aber es war wohl zu kalt, um im Park zu übernachten. Vielleicht hatte er in einem dieser Obdachlosenheime einen Schlafplatz gefunden.
Dass ihm ihre Kollegin gefiel, wunderte sie nicht – Rita war eine hübsche junge Frau, zog aber offenbar immer die falschen Männer an: Schmarotzer und jetzt sogar Sandler.
Sie wandte sich wieder dem Kochen zu. Und du selbst, meldete sich eine Stimme in ihrem Kopf, während sie entschlossen in einer Pfanne rührte, bis Tomatenstückchen über den Rand spritzten, bist die Tochter eines Gespenstes, das irgendwelche obskuren Leute in ein noch obskureres Land verschleppt, und wirst auf Schritt und Tritt von einem weiteren Gespenst verfolgt. Und es gefällt dir auch noch.
Nur allzu wahr.
Sie hatte sich sehr schnell daran gewöhnt, den Jäger um sich zu haben. Auch wenn sie scheu weiteren Berührungen auswich, obwohl er sie mit treuherzigem Blick immer wieder so betrachtete, dass es sie angenehm berührte. Zu angenehm. Diese Art von Prickeln, das ihren ganzen Körper erfasste, sollte sie eher bei einem Mann aus Fleisch und Blut verspüren und nicht bei einem, der als Schatten lebte.
Aber es war schwierig, seinem Charme zu widerstehen. Er wartete am Morgen schon auf der Straße, wenn sie das Haus verließ, begleitete sie zum Einkaufen und blieb treulich an ihrer Seite, ungerührt davon, wie viele Einkaufs- oder Kinderwägen durch ihn hindurchgeschoben wurden oder wie viele Hausfrauen und Kinder durch ihn hindurchliefen und alte Frauen und Männer ihn mit dem Stock in der Hand durchwanderten. Seit er bemerkt hatte, wie sehr sie das irritierte, versuchte er zwar, auszuweichen, aber da er sich weigerte, sich auch nur weiter als zwei Schritte von ihr zu entfernen, war es unvermeidlich, dass alle Welt durch ihn hindurchlief.
Letztens war er ihr sogar bis zum Zahnarzt gefolgt, um dann mit angespanntem Ausdruck neben ihr zu stehen und den arglosen Mann zu fixieren, als würde er jeden Moment den Bohrer an ihm selbst probieren wollen. Er hatte auch entsprechende Bemerkungen gemacht, und Gabriella hatte ihn nicht einmal hinausschicken können, weil sie den Mund voller Bohrer und Tupfer gehabt hatte. Schließlich hatte sie es aufgegeben, misstrauisch zu ihm hinüberzuschielen, und einfach die Augen geschlossen.
Wenn sie zur Arbeit ging, begleitete er sie ebenfalls die paar hundert Meter und wartete meist auf dem Marktplatz vor dem Restaurant, bis sie am Abend ihre Schicht beendete. Und wenn er einmal nicht da war – sie wusste, er war dann auf der Jagd – etwas, das ihr immer wieder Schauer des Ekels und der Angst über den Körper jagte –, so dauerte es nie lange, bis er wieder vor ihr
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