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Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten

Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten

Titel: Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mona Vara
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hochzuziehen. Er zerrte sich über den Rand dieses Sarges, kroch mehr, als er kletterte, weil seine Beine ihm nicht gehorchen wollten. Er schob sich weiter, dann verlor er das Gleichgewicht und stürzte auf der anderen Seite hinab. Schwer schlug er auf.
    Und dann, als er sich auf die Knie ziehen wollte, packte ihn der Schmerz erst richtig. Noch weitaus schlimmer jedoch war, was mit seinem Gehirn, mit seinem Verstand passierte. Es wirbelte in seinem Kopf, alles drehte sich, Millionen, nein Milliarden Bilder stürzten auf ihn ein, Stimmen, Gerüche, Geräusche. Zuerst dachte er, seine Erinnerung an Gabriella sollte ausgelöscht werden, und kämpfte gegen diese Flut an, bis er begriff, dass es seine eigenen Erinnerungen waren, die vehement ihren Platz in seinem Kopf beanspruchten. Er krümmte sich keuchend zusammen und hielt sich den Kopf, kämpfte gegen den Schmerz und die Verwirrung.
    Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als der Schmerz schließlich langsam verebbte, und er sich hochstemmen konnte. Er lehnte sich gegen den steinernen Sarg und blieb schwankend stehen.
    Er befand sich in einer Halle. Durch eine Reihe hoher, schlanker, jedoch halb blinder Fenster fiel dämmriges Licht herein. Was sich jenseits der Fenster befand, konnte er nicht ausnehmen. Er drehte den Kopf. Was er sah, ließ ihn den Atem anhalten. Sein Steinsarg war nicht der einzige. Die ganze Längsseite der Halle entlang standen Sarkophage. Einer nach dem anderen. Eine fast endlose Reihe.
    Was war in den anderen Steinsärge? Männer wie er? Jäger? Gefangene? War Markus nach seiner Rückkehr in einem davon gelandet? Hatte er damit gemeint: Du wirst dich in Amisaya wiederfinden?
    Er taumelte zu dem nächstgelegenen Sarkophag. Es waren nur wenige Schritte, aber es war ihm, als müsse er Tonnen mit seinen Beinen bewegen. Und er begriff: Er hatte wieder einen Körper, einen richtigen, atmenden Körper. Einen, der verdammt schmerzte. Nur noch drei Schritte. Er schleppte sich voran. Nicht fallen. Nur nicht fallen, das Aufstehen würde die Hölle sein.
    Dann hatte er den Sarg erreicht. Er wischte mit dem Ärmel die Staubschicht von der Glasplatte. Tatsächlich, hier lag jemand. Ein Fremder. Er hatte ihn noch nie gesehen.
    An der Wand hinter den steinernen Särgen hingen Schwerter. Auch hinter seinem. Darran schleppte sich, einer Erinnerung folgend, den Weg zurück. Er muss-te sich strecken, um das Schwert zu erreichen, und fiel vor Schwäche beinahe gegen die Wand. Er bekam es an der Schneide zu fassen und fluchte lautlos, als er sich schnitt. Die Wunde missachtend, hob er es mit zitternden Armen herab. Es rutschte ihm beinahe aus den Händen, aber mit einer fast instinktiven Geste fing er es am Knauf ab. Im selben Moment durchzuckte ihn das Gefühl von alter Vertrautheit, und er sah sich selbst, als Knaben, mit eben diesem Schwert in der Hand, fast zu schwer für sein Alter. Und doch hatte er es gehalten und geführt, und neben ihm ein hochgewachsener, kräftiger Mann. Sein Vater …
    Er schulterte das Schwert und ging die Reihe der Sarkophage weiter ab. Einer war leer, aber in den anderen lagen Männer, ähnlich gekleidet wie er. Zwei davon kannte er. Er hatte bereits mit ihnen gejagt. Sie sahen aus wie Tote. Und jeder von ihnen hatte einen Kristall auf der Stirn liegen. Nur im Gegensatz zu seinem schimmerten diese selbst durch das schmutzige Glas.
    Und dann, fast beim letzten Sarg der Reihe angekommen, erblickte er durch das vom Staub getrübte Glas ein sehr bekanntes Gesicht.
    Julian.
    Der Schock ließ ihn halb zusammensinken und gegen das Glas prallen, ehe er sich wieder in der Gewalt hatte.
    »Julian.« Er wollte seinen Freund rufen, aber nicht mehr als ein heiseres Krächzen kam heraus. Er lehnte das Schwert an den Stein und versuchte, die Platte wegzuschieben. Der Geruch von Moder stieg ihm in die Nase. Der gleiche Geruch, der ihm auch in seinem Sarg das Atmen erschwert hatte. Der Geruch nach einem Toten …
    Der Kristall auf Julians Stirn schimmerte heller. Darran beugte sich hinab, wollte Julian berühren, aber da …
    »Fasse ihn nicht an!«
    Die Stimme schlug sich hallend an Steinwänden wider. Darran richtete sich auf, wollte herumwirbeln, stürzte jedoch beinahe taumelnd zu Boden, weil seine Beine nachgaben. Zugleich erfasste er mit einer vielfach geübten Bewegung sein Schwert.
    Nur wenige Schritte von ihm entfernt, in der schlichten dunklen Kleidung der Amisayer, stand Strabo.
    Hass wallte in Darran hoch. Der Graue Lord war allein.

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