Tochter Der Traumdiebe
versuchte den Hengst zu beruhigen, konnte ihn aber kaum unter Kontrolle halten. Er war unruhig, stampfte mit den Hufen und schnaubte. Dann gab es eine Explosion von Silber, weich und alles einhüllend, betäubend. Auf einmal war es völlig still.
Ich wusste, dass Gaynor verschwunden war.
Nach einer Weile begann die Wölfin wieder zu heulen.
Mondmatt meinte, ich solle Arioch rufen. »Das ist die einzige Möglichkeit, die du jetzt noch hast, wenn du Gaynor verfolgen willst. Arioch kann jetzt hier nach Belieben kommen und gehen, denn Miggeas Macht ist für ihn kein Hindernis mehr.«
Ich wies darauf hin, dass Arioch gewöhnlich ein Blutopfer verlangte, wenn man ihn rufen wollte, und dass er selbst, Mondmatt, das einzige Lebewesen weit und breit sei. Daraufhin begann mein Freund sofort über andere Möglichkeiten, wie wir uns retten könnten, nachzusinnen.
Ich schlug vor, dass wir nicht bleiben und Miggeas ewigen Klagen zuhören, sondern lieber nach Tanelorn zurückkehren und den Rat der Bürger in Anspruch nehmen sollten. Falls ein Blutopfer unumgänglich sein sollte, könnte ich wenigstens einen verbannten Hexenanwalt töten und mich damit sogar noch bei den Leuten beliebt machen.
Also nahmen wir die Pferde herum und hofften, noch vor Einbruch der Nacht die Stadt zu erreichen.
Doch als es dunkel wurde, hatten wir uns hoffnungslos verirrt. Wie wir gefürchtet hatten, war es unmöglich, eine Aschesäule von der Nächsten zu unterscheiden. Der Wind schliff sie und gab ihnen mit jedem Augenblick neue Formen.
So waren wir einige Stunden später einigermaßen erleichtert, als wir, die Sterne bildeten bereits die einzige Lichtquelle, jemanden unsere Namen rufen hörten. Ich erkannte die Stimme sofort. Es war die Stimme meiner Tochter. Oona hatte uns gefunden. Ich beglückwünschte mich zur Klugheit meiner Verwandten.
Dann begann ich zu überlegen. Es konnte schon wieder eine Hinterlist sein. Ich warnte Mondmatt, vorsichtig zu reiten und auf eine Falle gefasst zu sein.
Im Sternenlicht, das funkelnd von der Wüste reflektiert wurde, sah ich den Umriss einer Frau. Sie war zu Fuß und hatte sich Bogen und Pfeile über die Schulter geschlungen. Ich begann zu vermuten, dass Oona ein übernatürliches Mittel zum Reisen besaß und nicht auf Pferde angewiesen war.
Auch dieses Mal betrachtete ich sie sehr aufmerksam.
Die weiße Haut strahlte eine Wärme aus, die mir selbst fehlte. Das weiche Haar glänzte. Sie hatte viel von ihrer Mutter, eine natürliche Lebendigkeit, die mir nie vergönnt war. Ich hatte eine Zeit lang, als unsere Wege sich kreuzten, die Traumdiebin Oone bewundert, geachtet und geliebt. Wir hatten unser Leben und unsere Seelen aufs Spiel gesetzt, um einer gemeinsamen Sache zu dienen. Schließlich hatten wir uns lieben gelernt und einander begehrt. Doch dieses Gefühl für meine Tochter war eine ganz andere, tiefere Regung.
Auf eine eigenartige Weise war ich stolz auf Oona und glücklich darüber, dass sie ihrer Mutter so sehr ähnelte. Wahrscheinlich hatten sich bei ihr eher die menschlichen Vorfahren als die melnibon&sche Linie durchgesetzt. Ich hoffte nur, dass sie nicht so sehr von inneren Konflikten zerrissen war wie ich.
Ich glaube, ich war auch etwas neidisch auf sie. Gut möglich, dass wir alle ewig dazu verdammt waren, unter Konflikten zu leiden, doch vielleicht schenkte das Schicksal manchen etwas mehr Frieden als anderen. In dieser gefährlichen Lage empfand ich jedenfalls hauptsächlich eine stille Zuneigung und Befriedigung darüber, dass die Tugenden, die ich besaß, durch mein Blut von einer Seele zur nächsten weitergegeben wurden, während dabei meine Unzulänglichkeiten womöglich verschwanden und aus dem Blut getilgt wurden.
Aus den tiefsten Schichten meiner Abstammungslinie meldete sich der melniboneische Impuls, den eigenen Kindern jedes Gefühl von Zuneigung zu versagen, weil damit beide Seiten geschwächt werden, und sich besser von ihnen abzuwenden. Ich widerstand beiden Impulsen. Meine Selbstdisziplin wurde ständig auf die Probe gestellt, immer wieder verändert und neu geschmiedet.
»Ich dachte, du wärst Gaynor zum Opfer gefallen.« Sie schien erleichtert. »Ich weiß, dass er bis vor kurzem noch hier war.«
Ich berichtete ihr, was Miggea widerfahren war. Zornig sprach ich über Gaynors Trick mit den Schwertern und seine Flucht. Ich verfluchte ihn als Verräter, der seine eigene Herrin an meinen Schutzherrn, Fürst Arioch, verraten hatte, den er zweifellos auf ähnliche Weise
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