Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
um ihn in seine Pläne einzuweihen, war er nicht unbedingt dafür. Aber nachdem Meinhardt damit gedroht hatte, Gerüchte über Sophia zu streuen, gab Hildebert nach. Meinhardt war darüber amüsiert, wie leicht er an das schlechte Gewissen des Mannes rühren konnte, wie einfach er in die Bürde aus Schuld stechen konnte, die er trug. Zuerst wollte Hildebert herausfinden, wie viel Meinhardt wusste. Das war ihm Beweis genug. Eigentlich hatte er nur vermutet, dass seine Mutter in einem unzüchtigen Verhältnis zu Hildebert stand, es war mehr ein Gefühl, aber er setzte alles auf eine Karte und ließ einige grobe Andeutungen fallen. Hildebert protestierte nicht, sah aus wie ein untertäniger Hund. Das überraschte Meinhardt. Erst als er mit der Bemerkung zu weit gegangen war, dass Hildebert wohl lieber Hildegards Jungfräulichkeit aufs Spiel setzen wolle, als ihm zu helfen, Sophia ins Kloster abzuschieben,wurde es Hildebert zu viel. Er ging auf ihn los und traf ihn mit einem Schlag an der Seite des Kopfes. Meinhardt schlug nicht zurück.
Trotzdem ärgert es ihn, dass Hildebert in dieser Sache keine Lösung vorbringt. Dass er mit seinem Eheweib eine Abmachung über das Kind getroffen hat, aus der er nicht herauskann, das hat Meinhardt verstanden. Aber dennoch könnte er jetzt gerade gut für Meinhardts Verschwiegenheit über seine Privatangelegenheiten bezahlen, indem er ihm hilft. Geht Sophia nicht mit Jutta zum Disibodenberg, bleibt sie garantiert auf dem Gut, bis sie stirbt. Er könnte seine Macht ausspielen und sie fortschicken, aber das würde schwierig sein, ohne einen triftigen Grund zu haben. Er könnte es nicht mehr damit rechtfertigen, dass sie über ihre Tochter und Patentochter wachen soll. Meinhardt faltet die Hände unter dem Tisch. Er bittet den Herrn seltener und seltener um Hilfe, aber jetzt braucht er sie. Er betet und klammert sich an den letzten Strohhalm: Der Bischof möge seine Erlaubnis verweigern. Jutta kann ihn noch so sehr damit plagen, die Behandlung der Angelegenheit zu beschleunigen, er wird keinen Finger rühren. Könnte er sein großzügiges Angebot an das Kloster zurückziehen, würde er es sofort tun. Doch das wagt er nicht, denn auch er hat eine Seele, die einmal nach Rettung dürsten wird.
Hildebert will nicht übernachten. Gleich nach der Mahlzeit steht er auf und gibt ohne einen Laut ein Zeichen, dass die Pferde bereitgemacht werden sollen. Er hat Hugo beim Herzog gelassen und behauptet nun, er habe wichtige Geschäfte zu erledigen. Obwohl Sophia darauf brennt, ihn zu fragen, was ihn von ihrem Gut treibt, schweigt sie. Kristin stöhnt und prustet, als sie sich vom Tisch erhebt. Es zieht über der Lende, und Ursula flüstert so laut, dass alle es hören können, die Geburt kündige sich bereits seit gestern an. Aber Kristin habe zu Sophias freigiebiger Einladung nicht nein sagen wollen. Sophia ist nicht in der Stimmung für Höflichkeiten und antwortet knapp. Jutta ist zusammen mit Hildebert verschwunden, und sie will wissen, wo sie hin sind. Vom Fenster aus kann sie sie auf dem Hofplatz miteinander reden sehen. Hildebert nickt und nickt, aber Juttas verwirrte Hände flattern in der Luft. Ab und zu sieht er zum Haus herüber, um sich zu vergewissern, dass niemand kommt. Was es für Geheimnisse sind, in die Jutta Hildebert einweiht, weiß Sophia nicht, aber sie ist fest entschlossen, es herauszufinden. Soll sie als Kinderpflegerin für ihre Patentochter auftreten, muss sie wissen, was da vorgeht. Voller Trotz schreitet sie direkt an ihren Gästen vorbei, die sich mitten in einer umfassenden Verabschiedung befinden. Sie reißt die Tür auf, geht quer über den Hofplatz und bleibt einen Meter von Hildebert entfernt stehen. Jutta lässt ihre Hände sinken, sie steht ganz still und starrt ihre Mutter schweigend an. Hildebert sagt ebenfalls nichts, macht aber auch keine Anstalten zu gehen. Jutta bleibt viel zu lange stehen, als bemerke sie das peinliche Schweigen und die ungeduldige Gegenwart ihrer Mutter nicht. Als ihr die Situation endlich bewusst wird, zieht sie sich rückwärtsgehend zurück. Erst als sie auf halbem Weg hinunter zur Kapelle ist, dreht sie ihnen den Rücken zu und eilt davon.
»Nun?«, fragt Sophia, ohne eine Miene zu verziehen.
Zuerst schüttelt Hildebert bloß den Kopf, sein Blick ist schwer vor Kummer, und das kommt für sie vollkommen überraschend.
»Das war nicht meine Absicht«, flüstert er, während er zum Tor späht. Sophia sagt nichts. Hildebert
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