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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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folgte Gisla Runa zum nahen See, um ihre Kleidung und sich selbst zu waschen, doch als sie die Hände in ein Eisloch steckte, fuhr sie mit einem Aufschrei zurück. Ihre Hände wurden erst rot, dann blau. Ihr war lieber, schmutzig zu bleiben, als zu frieren, doch da kam Runa eine Idee.
    »Ich weiß, wie wir uns waschen können!«, rief sie.
    Sie sammelte Steine, legte sie in eine der früheren Vorratskammern, bedeckte sie mit Torf und zündete ihn an. Als die Steine heiß waren, goss sie Wasser darüber - das erst zischte und sich dann in Dampf wandelte. In diesem Dampf hockten sie, bis Schweiß von ihrer Haut perlte und sie den Schmutz der vergangenen Wochen abreiben konnten.
    Gisla, zunächst befremdet, genoss die Prozedur.
    »Das ist wie in den Thermen von Laon! Zweimal in der Woche bin ich dort gewesen, und Begga hat meine Haut geschrubbt, bis sie brannte!« Gislas Augen glänzten; ihre Erinnerung an die Amme war frei von Verbitterung über deren späteren Verrat.
    »Mit meiner Großmutter habe ich oft genau so ein Dampfbad bereitet«, erzählte Runa hingegen wehmütig. »Im Winter war es eine Wohltat, vor allem für sie und ihre steifen Knochen. Und immer, wenn wir im heißen Dampf saßen, hat meine Großmutter Lieder gesungen.«
    Eine Weile hingen sie beide schweigend und schwitzend den Erinnerungen nach.
    Ich werde nach Hause zurückkehren, schwor sich Runa einmal mehr. Ich werde ein Schiff bauen.
    Ein Schiff zu bauen war eigentlich Männersache, aber das waren Jagd und Fischfang auch. Überleben und sich nach der Heimat sehnen konnte auch eine Frau. Also schüttelte Runa das Gefühl, Verpöntes tun zu wollen, alsbald ab, begann mit der Arbeit und versuchte, ihre Ungeduld zu bezähmen. Der Winter war lang, sie hatte genügend Zeit, sie würde alles gemächlich planen, prüfen und dann umsetzen.
    Die erste Aufgabe war nicht, etwas zu tun, sondern zu denken. Oder vielmehr sich an alles zu erinnern, was der Vater ihr jemals über den Schiffbau erzählt hatte. Vieles war vage, manches wusste sie noch ganz genau. Ihr Glück war, dass das Schiff der ganze Stolz eines Wikingers war und ein jeder ständig mit ihm prahlte.
    Ein gutes Schiff nun also brauchte einen guten Kiel - der war sein Rückgrat, verlieh ihm Stabilität. Er wurde aus einem einzigen Stück Holz gefertigt, das an Bug und Heck in den hochgezogenen Vorder- bzw. Achtersteven überging. Runa wusste: Das Schiffsrückgrat würde nicht die einzige, aber die größte Herausforderung für sie sein. Zu diesem Zweck musste sie einen entsprechend großen Baum erst finden, dann fällen. Überhaupt galt es, viel Holz zu schlagen, und dies war darum die erste Arbeit nach dem Denken: Sie zog durch die dick verschneiten Wälder und hielt nach geeigneten Bäumen Ausschau, die groß genug für das Schiff, aber nicht zu groß für sie waren, um sie zu fällen und zu schleppen. Nach dem Fällen mussten die Stämme gespalten werden. Sie folgte der Maserung des Holzes, auf dass die Planken beim Trocknen nicht schrumpften und sich verzogen, und bemaß die Zeit, die sie dafür hatte, als sehr knapp, denn frisch gefällte Stämme ließen sich leichter verarbeiten als abgelagertes Holz.
    Ehe Runa damit fertig war, stand sie vor neuen Problemen. Sie rutschte ständig auf dem eisigen Boden aus; das lederne Schuhwerk, das sie sich aus Tierhäuten angefertigt hatten, war schon nach wenigen Tagen durchgetreten. Anstatt Holz zu schlagen, jagte sie darum erneut, diesmal nicht, um das Fleisch der Tiere zu bekommen, sondern ihre Knochen. Am dienlichsten waren die Rippen, die sie zurechtschliff und mit einer Kordel unter ihre Füße band. Runa schnitzte auch einen Stock, dessen Spitze ebenfalls mit Knochen beschlagen war, und stützte sich darauf, wenn sie über Eis ging.
    Und weiter ging es mit den Holzarbeiten.
    Bald hatte sie Blasen an den Händen, die zu bluten oder zu eitern begannen. Gisla schrie jedes Mal auf, wenn sie abends heimkehrte und sie die Blessuren sah, und Runa verschwieg ihr nicht länger, dass sie ein Schiff baute. Ehe Gisla etwas dazu sagen konnte, fuhr sie sie barsch an: »Wenn du schreist oder heulst, musst du mir helfen.«
    Fortan hielt Gisla sich zurück. Zu helfen versuchte sie trotzdem - zwar nicht beim Schiffbau, aber im Haus. Sie hielt es sauber und bereitete das Essen zu. So kärglich ihre Mahlzeiten auch ausfielen - sie gab sich alle Mühe, und sie versuchte, stets zu dem Zeitpunkt fertig zu sein, wenn Runa zurückkehrte. Stolz lächelten sie dann beide,

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