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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Odo, ein anderer starb: Gauzlin, der Bischof von Paris und zugleich der Abt von Saint-Germain. Sein Neffe wurde sein Nachfolger, Abbo, dessen bester Schüler Taurin war. Und Taurin war sich sicher, dass Gott alles zum Guten wenden würde. Andere starben an Krankheiten, am Hunger, an Pfeilen der Heiden, er aber lebte. Und er hielt an der Hoffnung fest, dass Lutetia, das schöne Lutetia, zwar grausam geschändet wurde, aber nicht untergehen würde.
    »Wann ... wann wurdest du ihr Sklave?«, fragte Runa wieder.
    Er stierte sie an.
    »Noch nicht ... noch nicht«, brachte er heiser hervor. »Lutetia und die Menschen, die dort lebten, wurden von aller Welt im Stich gelassen. Karl der Dicke war damals König des Frankenreichs, und die Großen verlangten von ihm, er solle das Land von den Nordmännern befreien. Doch anstatt zu kämpfen, verlegte er sich aufs Verhandeln; anstatt Lutetia zu retten, gab er sich selbst und sein Reich der Schande preis. Wer hätte je glauben können, dass ein so ruhmreiches Königreich, so bewehrt, so groß, so reich bevölkert, auf diese Weise so erniedrigt und von einer so feigen und widerwärtigen Rasse geschlagen würde? Nun, König Karl war feige, aber Graf Odo von Paris war es nicht. Er hielt die Stadt. Monatelang. Er wehrte immer neue Angriffe ab, und irgendwann waren die Barbaren des Kämpfens müde. Sie gaben auf und zogen weiter in den Süden. Es war alles gut.«
    Ja, er hatte darauf gehofft, und seine Hoffnung war wahr geworden, Lutetia war stärker als die Heiden und sein Glaube stärker als die Furcht. Nun konnte man die Toten begraben, die zerstörten Brücken aufbauen, die Spuren der Zerstörung beseitigen. Nun konnte man den Unrat in den Fluss kippen und die Straßen fegen und in niedergemähten Wäldern neue Bäume pflanzen.
    »Doch ehe die geliebte Stadt in neuem Glanz erstrahlte«, fuhr Taurin fort, »ehe es nicht länger nach Tod und Blut roch, kehrten die Heiden wieder. Sie hatten Sens zerstört, aber ihren Hunger nach Gold hatte es nicht gesättigt. Als ihre Drachenschiffe das zweite Mal die Seine hinaufkamen, lebte ich wieder im Kloster. Das Leben unterlag dem gewohnten Takt, dem Takt des Schreibens, des Gebets, Gesangs.«
    Er hatte in der Zwischenzeit keinen Psalm vergessen, er konnte immer noch Latein, er lernte jeden Tag mehr griechische Buchstaben.
    Ehe er alle kannte, kam es zur zweiten Belagerung von Paris, nicht ganz so lange und nicht ganz so schlimm, aber dieses Mal ...
    »Wieder sind die Mönche von Saint-Germain in die Stadt geflüchtet, wo sie von den Mauern geschützt waren«, stieß er aus. »Wieder bin ich mit ihnen geflohen. Doch diesmal hatten wir die Reliquien des heiligen Germanus vergessen - Reliquien, die die Nordmänner schänden, einfach in die Seine werfen oder dazu nutzen würden, Menschen zu erschlagen. Also schickte der Abt jemanden, die Reliquien zu holen, doch er wählte keine erwachsenen Ordensbrüder zu diesem Zweck, sondern zwei Novizen. Und mich.«
    Er machte eine kurze Pause, keuchte wieder. »Wir hatten das Kloster kaum erreicht, als sie kamen. Wir konnten die Reliquien nicht schützen - und uns selbst auch nicht. Sie nahmen alles mit sich, was ihnen in die Hände fiel: Monstranzen, Goldgefäße, goldene Kruzifixe, Fleisch, Mehl und Wein aus den Kellerräumen.« Taurin geriet ins Stocken.
    »Und sie verschleppten auch dich«, stellte Runa ruhig fest.
    Er nickte. »Ja, sie verschleppten auch mich.«
    Er konnte nichts mehr sagen. Es war nicht möglich, es in Worte zu fassen. Nicht diese Todesangst, diese Ohnmacht, diese Verzweiflung. Nein, es gab keine Worte, und es gab auch keine Bilder - seine Erinnerungen waren an dieser Stelle schwarz und tief.
    Er wusste nicht mehr, was in diesen ersten Tagen nach der Verschleppung geschehen war. Er wusste nur, dass er sich gewünscht hatte zu sterben und dass er dennoch weiterlebte. Er war noch jung damals, nicht einmal zehn Jahre alt, aber er war groß gewachsen, und er war sehr klug.
    Gequält ging sein Atem. Die Gefühle verblassten, die Worte kamen zurück.
    »Ich lernte kein Griechisch mehr«, sagte er leise. »Ich memorierte keine Psalmen mehr. Ich lernte ihre Sprache.«
    Er erlangte Wert für sie - als ihr Übersetzer, erzählte er weiter. Nur deswegen ließen sie ihn am Leben, aber sie hielten ihn gefangen und nahmen ihn auf weitere Feldzüge mit. Erst musste er für Siegfried übersetzen, später für einen anderen ihrer Anführer, Rollo. Mit Rollo kam er bis nach Bayeux, und anders als

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