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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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sich nicht setzen, denn ganz gleich, ob sie saß oder lag, die Schlange ließ sich nicht zähmen. Anfangs biss sie nur dann und wann zu, mit der Zeit immer häufiger und gieriger. Zuletzt war es nicht einmal mehr ein Trost, dass Runa ihre Hand hielt. Obwohl ihre Tränen längst versiegt waren, sah Gisla die Welt wie durch einen grauen Schleier, und die Hütte, die ihr eigentlich vertraute Heimat geworden war, wirkte dahinter fremd und abstoßend. So ärmlich war es an diesem Ort, so schmutzig, und das Bett war so hart! Oh, wenn sie nur weich liegen könnte in all ihren Schmerzen, wenn ihre Mutter und Begga sie trösten und liebkosen würden, ihr ein Daunenkissen unter den Kopf schieben und ein Kohlebecken an ihr Bett!
    Aber Begga hatte sie verraten, und ihre Mutter würde entsetzt sein, dass sie das Kind eines Nordmannes gebar ... oder das eines Dämons.
    Gislas Blick ging flackernd durch die Hütte, traf schließlich Taurins. In seinen Augen glühte kein Hass mehr; ausdruckslos und von ihren Schmerzen ungerührt starrte er sie an. Was immer sie erlitt, er fand wohl, sie hätte es verdient - sie, die gefallene Königstochter. Das schwächliche Kind eines schwächlichen Vaters. Der das Land nicht durch ehrlichen Kampf vor Nordmännern schützen konnte, sondern durch einen schmählichen Pakt.
    Taurin zeigte seinen Hass nicht, aber er belauerte sie, er ließ sie nicht aus den Augen. Gewiss wartete er nur, bis das Kind aus ihrem Leib gekrochen käme, um es an sich zu bringen.
    »Er muss weggehen!«, schrie Gisla. »Töte ihn! Er wird mir mein Kind nehmen.«
    Zum ersten Mal sprach sie von ihrem Kind. Bis jetzt war es ein Stein, ein kleiner Dämon gewesen. Nun endlich wurde ihr bewusst, dass sie wollte, dass es lebte. Und sie wollte, dass sie selbst lebte.
    Runa hörte nicht auf sie, hielt weiter ihre Hand, strich ihr manchmal über das Gesicht und murmelte etwas, was Gisla nicht verstand.
    »Was ... was redest du da?«, stammelte Gisla.
    Die Antwort drang nicht zu ihr durch, stattdessen begann Runa zu singen. Nicht hell und klar wie Gisla stets gesungen hatte, sondern mit rauchiger Stimme. Beschwor sie ihre Götter, ihr zu helfen? Aber die Götter konnten ihr nicht helfen! Sie waren böse und hässlich und auf Zerstörung aus! Nichts Gutes war von ihnen zu erwarten! Die heilige Margarethe war die Einzige, die ihr beistehen könnte, vielleicht auch die heilige Dorothea, doch sie war zu schwach, um sie um Hilfe anzuflehen, und Taurin war zu böse, es zu tun.
    Als der nächste Krampf sie beutelte, floss etwas Warmes aus ihrem Leib. Sie hob den Kopf, sah frisches rotes Blut. Vielleicht war das Kind kein Stein, kein Dämon, kein Mensch, sondern nur ein großer Blutklumpen.
    Gisla schrie durchdringend - diesmal nicht vor Schmerz, sondern vor Zorn, erbost, dass die Schlange nicht endlich von ihr abließ.
    Erschöpft ließ sie den Kopf zurück auf die Bettstatt sinken. Nicht länger war ihr Blick von einem grauen, sondern von einem roten Schleier verhangen, und was sie dahinter sah, war zu schrecklich, als dass es wirklich sein konnte. Sie musste Fieber haben und all das träumen! Die Schlange begnügte sich nicht mehr, sie zu beißen und zu ersticken, sondern gaukelte ihr Bilder vor, die es nicht gab!
    Unmöglich, dass Runa in diesem Augenblick ihre Hand losließ.
    Unmöglich, dass jemand lachte und es wie Thures Lachen klang.
    Und unmöglich, dass Taurin - oder war es der Dämon? - plötzlich ohne Fesseln im Raum stand.
    Gisla hatte Runa anvertraut, dass Thure von der Ragnarök gesprochen hatte, als er sich an ihr verging, und obwohl Runa diese Geschichte kannte, begriff Runa erst jetzt, wie es sich anfühlte, wenn die Welt Stück für Stück zerbrach und im Chaos versank.
    Die Ragnarök kam nicht plötzlich über die Welt, sondern kündigte sich durch viele kleine Katastrophen an. Und auch an diesem Tag wurde nach und nach alles schlimmer, nahm das Unglück langsam, wenn auch stetig seinen Lauf. Am Anfang dachte sie noch, sie hätte genügend Kräfte, es abzuwenden. Am Ende blickte sie in einen Abgrund, so tief, so schwarz, wie sie in noch keinen geblickt hatte. Eigentlich war es kein Abgrund, eher ein Monster mit weit aufgerissenem Maul und spitzen Zähnen. Sie wähnte diese Zähne schon zuzubeißen und war nicht sicher, ob sie genügend Kraft hatte, das Maul offen zu halten.
    Das erste Unglück an jenem Tag war, dass sie nicht wusste, wie sie Gisla bei der Geburt am besten beistehen sollte. Sie konnte ihre Hand halten, ihr

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