Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)
seinen Wangen runzelten sich wie kleine Schlangen. Vielleicht versprühten sie das Gift, das seinen Verstand verwirrt hatte, und nicht die Pilze, von denen er im letzten Jahr zu viele genossen haben musste, so durcheinander, wie er sprach.
»Frieden!«, stieß er wieder aus, amüsiert und angewidert gleichermaßen. »Und so soll er aussehen, der Frieden: Rollo lässt sich taufen, und König Karl übergibt Rollo das Land, das diesem ohnehin schon gehört, als Lehen. Dafür gilt Rollo fortan als Graf, nicht länger als Bestie aus dem Norden. Obendrein kriegt er des Königs Tochter zur Ehefrau - und alle leben glücklich auf blutgetränktem Boden.«
Hektisch leckte er sich mit der Zunge über seine rauen Lippen.
»Nicht alle«, berichtigte Runa ihn. »Du scheinst nicht glücklich zu sein.«
Vage erinnerte sie sich an die Worte, die er zu ihr gesagt hatte, nachdem er ihren Vater vergiftet hatte - dass Männer wie er nicht zum Pflügen gemacht seien, sondern zum Kämpfen.
»Die Welt taugt nicht für Glück und Frieden«, erwiderte er. »Wie sehr man sich darum mühen mag - am Ende wartet das Chaos. Wenn der Endkampf der Götter und der Riesen über uns hereinbricht, wird alles Böse entfesselt, wird die Erde zu beben beginnen, und sämtliche Bäume werden entwurzelt. Die Berge werden einstürzen, das Land wird überflutet, und die Sterne werden vom Himmel fallen. Und alle Krieger und Götter werden sich erheben - zum letzten großen Kampf, ehe die Welt untergeht. Das ist unser Schicksal. Und warum sollten wir uns ihm blind stellen und hoffen, dass es erst über unsere Kindeskinder hereinbricht? Warum nicht mit den Kräften des Chaos spielen, sie sich zunutze machen, seinen Spaß daran haben?«
Ruckartig blieb Thure stehen und stolperte. Vielleicht war er tatsächlich so ungeschickt, vielleicht aber gehörte zu dem Spiel, von dem er sprach, seiner Sinne vermeintlich nicht mächtig zu sein.
»Sag endlich, was du willst.«
Runas Anspannung wich Erschöpfung. Der Hass auf den Mörder ihres Vaters war nicht lebendig genug, dass es sie nicht auslaugte, ihm zuzuhören. Thure fuchtelte mit den Armen, als wollte er in die Luft zeichnen, wovon er sprach.
»Sie werden also alle in Saint-Clair-sur-Epte zusammentreffen, um einen Frieden zu schließen, den es nie geben kann: der König vom Frankenreich und seine Krieger. Rollo und die Seinen. Und natürlich auch die Frankenprinzessin - sie heißt Gisla. Noch wird sie nicht in Rollos Hände übergeben, jedoch dem Bischof von Rouen, bei dem sie leben soll, bis er genug über den Christengott gelernt hat. Rollo, meine ich natürlich, nicht den Bischof. Der weiß bereits alles über den Christengott. Und soll ich dir etwas sagen? Ich für meinen Teil auch.« Verschwörerisch beugte er sich vor und nuschelte: »Der Christengott sieht nicht nur untätig zu, wenn die Seinen gemartert werden - er hat sich selbst schlachten lassen wie ein Stück Vieh.«
Thure spuckte aus, und sein weißer Speichel warf auf dem dunklen Boden kleine Bläschen. Als Runa daraufstarrte, musste sie an die Kuh denken, ihre und Asruns Kuh, deren Kehle Thure durchschnitten hatte und deren Blut einer Fontäne gleich in die kalte Luft gespritzt war.
»Nun gut«, fuhr Thure indessen fort, »wenn Rollo also bewiesen hat, dass er nicht nur ein guter Christ ist, sondern seinem Lehnsherrn, dem König, ein guter Diener, dann wird im nächsten Frühjahr Hochzeit sein. Bis dahin wird sich Rollo mit seiner Konkubine vergnügen und Gisla zitternd in Rouen hocken und sich den Tod wünschen. Wenn sie denn dort überhaupt ankommt.«
»Du willst es verhindern?«
Er zuckte die Schultern. »Nun, dort bei Saint-Clair-sur-Epte wird in diesen Tagen der Brautschatz durchs Land gefahren, Schmuck und Gold und Pelze und Geschirr, und wenn ich es genau bedenke, ist mir das lieber als gestohlenes Getreide. Ich habe es satt, verhungerte Bauern auszurauben und Mönche zu töten, deren Scheiße hart wie Stein ist, weil sie nichts Anständiges zu essen haben.«
»Du willst den Brautzug überfallen«, fasste Runa zusammen.
Thure grinste. »Sagen wir es so: Auf Pelze und Geschirr kann ich verzichten, Schmuck und Gold sind mir umso lieber ... und du, Runa, willst dergleichen doch auch.«
Sie hatte lange nicht mehr überlegt, was sie wollte. Von einem Tag zum nächsten zu überleben hatte nichts mit Wollen zu tun. Aber damals, als sie erstmals den Boden des Nordmännerlandes betreten hatte, inmitten von Klippen und Sand - damals hatte sie
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