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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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sie am späten Nachmittag angekommen. In seiner Mitte brannte ein Lagerfeuer. Ein Teil der Mauern, die den Hof umgrenzten, gehörten zum Palatium, ein anderer zu den Stadtmauern, doch das Feuer erhellte nicht nur die Mauern, sondern gab auch den Blick auf die Männer frei, die hier beisammenhockten oder -standen, aßen, schliefen oder sich Geschichten erzählten.
    Gisla blieb stocksteif stehen. Unmöglich, in Gegenwart dieser Männer die Latrinen zu suchen, sie gar nach dem Weg dorthin zu fragen! Sie konnte sich lediglich dazu überwinden, einen winzigen Schritt ins Freie zu machen, sich dann mit der einen Hand an der Mauer abzustützen und mit der anderen das Kleid zu heben. Kurz überwogen die Wohltat, sich endlich zu erleichtern und die Dankbarkeit, dass niemand sie bemerkte, die Scham, dass ihr das Wasser warm über die Fersen lief. Als sie sich erhob, fühlte sich auch der Saum ihres Kleides nass an, doch sie achtete nicht darauf, beeilte sich stattdessen, wieder ins Innere des Gebäudes zu kommen. Gisla lief hastig und mit gesenktem Blick den Gang zurück und blieb erst stehen, als sie auf eine Tür stieß, die sie vorher nicht gesehen hatte. Sie hob den Kopf. Der Rauch hing schwer in der Luft, der Gang erschien viel niedriger. Hatte sie den falschen Weg gewählt? Einen, der nicht zur Küche führte, sondern von dieser fort?
    Sie hätte am liebsten geweint, gab diesem Bedürfnis aber nicht nach, sondern drehte sich um, um in die andere Richtung zu laufen. Das Gemäuer war ihr fremd, die Küche schien unerreichbar. Gisla hielt unvermittelt erneut inne. Eine Stimme ließ sie aufhorchen.
    Es war die Stimme einer Frau, die aus einem der angrenzenden Räume drang, und es war irgendwie tröstlich, eine Frau in der Nähe zu wissen. Noch tröstlicher war es, dass sie Fränkisch sprach. Nur das, was sie sagte, war alles andere als tröstlich.
    Gisla erstarrte, hielt den Atem an, lauschte noch konzentrierter. Nein, sie hatte sich nicht verhört. Die fränkische Frauenstimme wiederholte ihren Befehl.
    »Ich will«, so sagte sie, »ich will, dass du Prinzessin Gisla tötest, Taurin.«

K LOSTER S AINT -A MBROSE IN DER N ORMANDIE H ERBST 936
    Ja, es war Zeit, mit den Nonnen zu sprechen, ihnen zwar nicht ihr Geheimnis anzuvertrauen, jedoch, dass sie eins hütete, desgleichen, dass sie dafür geradestehen wollte, wenn auch verspätet. Nach diesem Entschluss fühlte die Äbtissin sich besser, doch wenn sie auch wusste, was sie zu tun hatte, so nicht, wann dafür die beste Zeit war.
    Nach dem Auftauchen des Fremden war eben erst wieder Ruhe im Kloster eingekehrt. Sie wollte diesen Gleichmut nicht ausgerechnet jetzt erschüttern, da der Abend nahte, sondern entschied zu warten. Auch wenn für sie selbst an Schlaf nicht zu denken war - ihren Schwestern wollte sie diesen gönnen. Ob Arvid schlafen konnte oder von seiner Angst vor den Feinden und seiner Scheu vor ihr wach gehalten wurde, wusste sie nicht.
    Als sie am nächsten Morgen nach ihm sah, hatte sein Gesicht eine etwas gesündere Farbe angenommen, aber er wich ihrem Blick aus. Sie nahm es schweigend hin, ließ ihn bald wieder allein und bat die Subpriorin, die Schwestern zusammenzurufen.
    Gewiss, erklärte die Äbtissin auf deren Einwand hin, es sei noch nicht die Zeit für eine Kapitelsitzung gekommen, und ja, um diese Tageszeit gingen die Klügeren der Gemeinschaftslektüre nach und die weniger Klügeren ihren Arbeiten. Aber all das müsse vorerst ruhen. Sie wolle alle Nonnen im Refektorium sehen.
    Mathilda war eine der Ersten, die wenig später dort eintrafen, andere folgten ihr bald - und in sämtlichen Gesichtern stand Anspannung geschrieben. Auch wenn es den Nonnen verboten war, tuschelten sie miteinander, und den Worten, die zu ihr drangen, entnahm die Äbtissin, dass sie den jungen verletzten Mann für den Grund dieser Zusammenkunft hielten. Sie erwarteten offenbar, dass die Äbtissin ihnen erklärte, wer er war und wer ihn so zugerichtet hatte, woher er stammte und warum er dieses heidnisch anmutende Amulett um den Hals trug.
    Doch die Äbtissin beabsichtigte nicht, darüber zu reden. Genau besehen redete sie vorerst gar nicht, sondern musterte alle schweigend.
    Die Schwestern waren die einzige Familie, die sie noch hatte - doch gerade weil sie ständig mit ihnen zusammen war, blickte sie oft durch sie hindurch und nahm nicht wahr, wie sie sich veränderten und älter wurden, manch eine gleichmütig, andere verbitterter. Die Schwester Mesnerin hatte deutlich

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