Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
Vom Netzwerk:
erst, weil die Bäume immer dichter standen, dann, weil die Nacht hereinbrach. Der Tag, der zurücklag, schien Gisla kurz wie ein Augenblick und zugleich lang wie eine Ewigkeit.
    Als das Licht so grau wurde, dass man kaum noch den Boden erkennen konnte, blieb Runa wieder stehen, diesmal nicht, um zu lauschen, sondern um sich vor einem der Bäume niederfallen zu lassen. Gisla tat es ihr gleich. Ihr Rücken schmerzte vom langen Gehen, aber zumindest das Brennen in den Fußsohlen ließ etwas nach. Sie zog die Beine an sich heran, verschränkte die Arme um die Knie und war unendlich dankbar, dass sie nichts weiter tun musste, als dazuhocken.
    Ewig hätte sie so sitzen bleiben können - Runa hingegen nicht. Wenig später sprang diese plötzlich auf, doch als Gisla es ihr panisch gleichtun wollte, gab sie ihr ein Zeichen, auf sie zu warten.
    Gisla vergrub ihren Kopf zwischen den Knien. Ihre Erschöpfung war größer als die Angst, dass Runa nicht zurückkehrte. Irgendwie wusste sie, dass sie wiederkommen würde, und auch, dass Runa dafür sorgte, dass sie nicht mehr froren und hungerten.
    Kurze Zeit später kam sie tatsächlich mit einem erlegten Hasen zurück und machte ein Feuer. Runa schichtete erst Holz, Laub und Tannennadeln übereinander, dann schlug sie zwei absonderliche Steine aufeinander, bis Funken sprühten. Bald erklang das vertraute Knacken von brennendem Holz. Gisla hockte sich ganz dicht an die Flammen und sah Runa angewidert zu, wie sie dem Tier das Fell abzog. Von allen Geräuschen des Waldes war dieses leise das unheimlichste. Ihre Gefährtin nahm einen Ast, zog ein Messer, dessen Anblick für Gisla fast noch schwerer zu ertragen war als der des toten Tieres, und schnitzte so lange, bis er auf einer Seite spitz genug war, um den Hasen aufzuspießen. Gisla wandte sich ab, dann war es geschafft, und Runa drehte das Fleisch über den Flammen.
    Gisla war überzeugt, keinen Bissen essen zu können. Der Fleischklumpen lag ihr immer noch wie ein Stein im Magen, aber als die blutrote Haut langsam kross wurde und ein würziger Geruch aufstieg, lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Runa riss ein Stück Fleisch ab, und Gisla schlang es noch heiß herunter. Ihre Zunge brannte wie Feuer, ihre Kehle und ihr Magen alsbald auch, aber ihre Gier kannte keine Grenzen. Danach fühlte sie Übelkeit - und eine seltsame Schwere. Sie sank auf das Moos, schloss die Augen und war eingeschlafen, ehe sie darüber nachdenken konnte, ob sie im Wald wohl Schlaf finden würde.
    Als Gisla erwachte, fiel fahles Licht auf ihr Gesicht - sie wusste nicht, ob es Mondlicht war oder ob der Morgen graute. In ihrem Mund schmeckte es gallig, und im Magen rumorte das verzehrte Hasenfleisch. Sie schlug sich die Hand vor den Mund, und während sie ein Würgen unterdrückte, dachte sie an den Traum, der sie geweckt hatte. Darin war das Bild vor ihr aufgestiegen, das Runa in den Boden geritzt hatte - das Bild eines Bootes -, und plötzlich war sie sich sicher, warum Runa es gezeichnet hatte.
    Gisla richtete sich auf, blickte sich nach ihr um. Runa schlief nicht mehr, sondern flickte ihre zerrissene Kleidung mit einer Nadel, die sie aus einer Tiersehne geschnitzt hatte.
    Gisla kroch zu ihr. Das Feuer war zu einer kümmerlichen Glut heruntergebrannt, von Runas Leib hingegen ging Wärme aus. Fragend blickte diese auf, als Gisla sich vor Kälte zitternd an sie presste, ließ sie dann aber gewähren und hob die Nadel, wohl zum Zeichen, ob auch sie ihre Kleidung ausbessern wollte.
    Gisla ergriff die Nadel, doch anstatt ihr vom Astwerk zerrissenes Kleid zu nähen, ritzte sie das gleiche Gebilde in den Boden wie Runa am Tag zuvor - ein Boot.
    Runa blickte schweigend darauf.
    »Du bist auf einem Schiff gekommen, nicht wahr?«, fragte Gisla.
    Runa schwieg immer noch, aber als Gisla mehrmals auf das Boot im Waldboden deutete, nickte sie. Schließlich zeichnete sie ein weiteres, allerdings eines, dessen Segel in die andere Richtung wiesen.
    »Und du willst wieder zurück«, glaubte Gisla zu verstehen.
    »Norvegur«, sagte Runa, und noch einmal: »Norvegur.«
    War das ein Name? Der Name eines Menschen, mit dem sie hergekommen war? Oder der Name eines Landes?
    Runa deutete auf ihr Schiff, dann auf sich selbst. »Runa«, sagte sie nun, »Norvegur.«
    Gisla nickte begeistert.
    »Gisla«, gab sie zurück und fügte hinzu: »Laon.«
    Sie zeichnete wieder etwas auf den Waldboden, diesmal viele kleine Häuser, um zu zeigen, dass sie aus einer großen Stadt stammte.
    Runa

Weitere Kostenlose Bücher