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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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starrte lange darauf, dann verzogen sich ihre Lippen zur Andeutung eines Lächelns. »Runa - Norvegur«, sagte sie. »Gisla - Laon.«
    Nun war Gisla nicht länger warm von der Wärme der Gefährtin, sondern vor Aufregung.
    »Du willst heimkehren!«, rief sie begeistert. »Und ich auch! Wenn du mich irgendwie nach Laon bringst ... dann kann ich dafür sorgen, dass du zurück nach Norvegur gehen kannst.«
    Runa runzelte nachdenklich die Stirn, öffnete dann ihren Mund, und heraus kamen einige Worte, die fränkischen ähnelten: »Bauern ... Laon ... fragen.«
    Gisla hätte vor Freude am liebsten geweint. Nicht nur, dass Runa ein paar Brocken ihrer Sprache kannte und verstanden hatte, was sie von ihr wollte, obendrein dachte sie schon einen Schritt weiter - dass sie nämlich, um nach Laon zu kommen, Menschen nach dem Weg fragen mussten.
    Der Gedanke an Menschen, an fremde Menschen, machte Gisla Angst, aber als Runa aufstand, die Glut austrat und sie ihr weiter durch den dunklen Wald folgte, war die Hoffnung, dass alles irgendwie gut werden könnte, erstmals größer als diese Angst.
    Sie gingen einen Tag und einen zweiten. Sie liefen auf Nadeln und auf Blättern, auf Wurzeln und auf Moos; sie kamen an Sümpfen vorbei und an klaren Bächen, an Bäumen, die dicht wie Mauern standen und deren Kronen ein dunkles Dach bildeten, und an Lichtungen. Der Wald fand kein Ende. Und sie sahen keine Menschenseele.
    Insgeheim war Gisla darüber erleichtert, und auch Runa hielt nicht mehr so oft inne, um nach Verfolgern zu horchen. Die Laute des Waldes wurden vertraut; das Gefühl, von bösen Geistern belauert zu werden, schwand. So es diese denn wirklich gab, hatten sie wohl entschieden, die Königstochter nicht zu quälen, sondern zu beschützen.
    Woran Gisla sich nicht gewöhnte, waren der Hunger und die Kälte. Das Fleisch, das Runa erjagte, füllte den Magen, aber löste stets Übelkeit bei ihr aus, nie das wohlige Gefühl, wahrhaft gesättigt zu sein. Und das Feuer, das Runa mit Steinen entzündete, verpestete die Luft mit dichtem Rauch, anstatt echte Wärme zu schenken. Am Morgen war es stets erloschen und die graue Asche, wie alles andere um sie herum auch, von Raureif überzogen. Unter jener kalten Schicht wirkten die Bäume greisenhaft und der Wald wie ein Totenreich.
    Gegen Mittag wurde es wärmer. Die Wege wurden matschiger, und oft wateten sie bis zu den Knöcheln im Schlamm, was lästig, wenn auch nicht so bedrohlich wie die Sümpfe und Moore war. In einem solchen zu versinken blieb Gislas stete Angst. Früher hatte Begga manchmal Geschichten von Wanderern erzählt, die vom Weg abkamen und im Sumpf ertranken, denn wen das Moor einmal gepackt hatte, den gab es nicht wieder frei, und wen es ganz und gar verschlungen hatte, den spuckte es nie wieder aus. Als sie ein Kind war, hatte sie sich vorgestellt, dass böse Geister auf dem Grund des Moores hockten, die die Menschen hinunterzogen, und wenn das Wasser nun gluckste, glaubte sie wieder daran.
    Auch Runa schien die Moore zu scheuen. Sie verlangsamte häufig ihre Schritte, sammelte, wenn der Boden besonders schlammig war, Steine und warf diese auf den Weg, um zu prüfen, ob sie untergingen oder auf festem Grund liegen blieben. An einer Stelle, wo die Erde nicht dunkel, sondern nahezu schwarz war, hielt sie nach einem Baumstamm Ausschau, den der letzte Sturm geknickt hatte, wälzte ihn dorthin und forderte Gisla auf, darüberzubalancieren.
    Zu ihrem Erstaunen hatte sie keine Angst, auch nicht, als der Boden tatsächlich unter ihr nachgab und sie knietief versank. Die Möglichkeit, vom Baumstamm zu fallen und ganz zu versinken, war für einen kurzen Augenblick nicht schrecklich, sondern fast verlockend. Was immer in dieser Tiefe lauerte - es war lautlos, und zu ertrinken verhieß nicht nur einen qualvollen Tod, sondern nie wieder Hunger zu haben und zu frieren. Doch Runa zerrte so lange an ihrem Arm, bis sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte.
    Nicht länger ausschließlich auf den Weg bedacht begannen in Gislas Kopf die Gedanken zu kreisen wie hungrige Raubvögel, ständig drohend, eine ihrer Ängste herauszupicken und sie genüsslich zu zerfleischen.
    Wenn sie sich nicht gerade um sich selbst sorgte, dann um Aegidia und ihre Mutter. Die Hoffnung, irgendwann nach Laon zurückzufinden, war selten stark genug, um sich daran zu wärmen - meist loderte die Flamme schwach wie das abendliche Feuer, das Rauch spuckte und ihre Kehle zu vergiften schien. Vielleicht führt

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