Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)
überwältigt, und kaum lockerte sich sein Griff, trat sie gegen sein Schienbein. Der Mann rutschte auf dem feuchten Laub aus, fing sich aber gleich wieder und rammte ihr brutal sein Knie in den Leib. Ungeachtet der Schmerzen wehrte Runa sich gegen seinen Griff, doch er ließ sie nicht los. Dicht waren ihre Leiber aufeinandergepresst, heftig ihr Gerangel. Sie hörte seinen keuchenden Atem, sie spürte seinen Herzschlag.
»Ich will nur sie - dich lasse ich gehen«, brach es plötzlich aus ihm heraus.
Seine Stimme klang rau, er sprach ihre Sprache, und ob des vertrauten Klangs erstarrte Runa. Kurz schienen ihre Leiber aufeinanderzuhaften, versanken ihre Blicke ineinander, stand die Zeit still. Der Kampf hinter ihnen schien in einer anderen Welt zu toben. Nicht Wahnsinn stand in seinem Gesicht wie in Thures, nicht blanke Mordlust, nicht Lust an Grausamkeit, nur ... Trauer.
Was macht uns zu Feinden?, ging ihr durch den Kopf. Dass wir nicht zum gleichen Volk gehören? Dass wir nichts weiter wollen, als zu leben?
Er packte sie nun wieder härter, sie wehrte sich nicht minder dagegen, und während des neuerlichen Gerangels begann ihr Leib, eben noch kalt, zu glühen. Runa dachte nicht mehr über ihre Feindschaft nach, sondern dass die Umarmung, die Kampf und Tod schenkt, noch inniglicher ausfällt als die, die die Liebe bringt, dass sich noch nie der Leib eines Mannes so fest an ihren gepresst hatte und dass der Wunsch, sich gegenseitig zu besiegen, sie kurz mehr einte, als trennte.
Seine Nähe verstörte sie und ließ ihren Widerstand weit mehr erschlaffen, als seine Muskelkraft es vermocht hatte. Ein Beben überkam sie beide, und sie wichen voneinander zurück. Die Kluft, die so zwischen ihnen entstand, war kaum mehr als einen Schritt breit, jedoch für Runa ausreichend groß, um seinen Leib wieder als den eines Fremden, nicht den eines tief Vertrauten zu empfinden.
»Gut«, stieß sie aus, »ich gebe sie dir.«
In den Augen des anderen flackerte etwas auf, das sie nicht recht deuten konnte, das mehr dem Überdruss glich als der Genugtuung. Da wusste sie, dass er es nicht genießen würde, Gisla zu töten. Aber sie wusste, dass er es dennoch tun musste - weil es die Notwendigkeit gebot.
Sie drehte sich zu Gisla um, die sich zitternd an einen Baum klammerte. »Das ist Taurin!«, schrie sie panisch.
Der Name war Runa fremd, obwohl der Mensch, dem er gehörte, ihr kurz so vertraut erschienen war.
»Still!«, fuhr sie Gisla an, und tatsächlich verstummte die fränkische Prinzessin.
Leer wurde ihr Blick - leer wie der Taurins. Er hatte sich damit abgefunden, sie töten zu müssen. Sie hatte sich damit abgefunden zu sterben. Nur Runa wollte sich nicht damit abfinden. Immer noch kämpften die Männer. Eines der Pferde war aus dem Kampfgetümmel geflohen und wieherte dicht an ihrem Ohr. Da packte Runa Gisla und hob sie auf das Pferd. Sie schaffte es mit letzter Kraft, sich an einem Ast hochzuziehen und vor ihr aufzusitzen, bevor das Tier davonstob. Es raste auf die Kämpfenden zu, wich vor ihnen zurück und drohte zu steigen. Runa klammerte sich an die Mähne und schrie Gisla an, sich an ihr festzuhalten.
Nicht fallen!, befahl sie sich. Nur nicht fallen!
Sie hieb ihre Fersen in die Flanken des Tieres, das sich nervös wiehernd wie irr im Kreis drehte, ehe es endlich durch die Bäume davonpreschte. Immer leiser wurden die Geräusche des Kampfes, immer leiser die Flüche Taurins, der ihnen nur tatenlos nachsehen konnte. Runa fühlte sich jedoch keinen Augenblick lang in Sicherheit. Sie wusste: Vom Rücken des Tieres zu fallen wäre nicht minder tödlich, als von seinem Schwert getroffen zu werden. Sie dachte an eine Gestalt aus der Götterwelt - Sleipnir, das Pferd mit acht Beinen, auf dem Hermod zu Hel geritten war - und hatte das Gefühl, selbst auf dem Weg zur Göttin des Todes zu sein.
Blätter und Zweige klatschten ihr wie Peitschen ins Gesicht. Ein Ast raste auf sie zu, und Runa duckte sich erst im letzten Augenblick. Tief vergrub sie ihr Gesicht in der Mähne des Pferdes - was es schwer machte, Gisla festzuhalten, und unmöglich, auf den Weg zu achten. Nur am fahlen Licht erkannte sie jetzt, dass sie immer noch im Wald waren, wo die Bäume dicht beisammenstanden.
Das Pferd fand auch ohne ihre Führung seinen Weg durch das grüne Labyrinth, wurde jedoch zunehmend erschöpfter und galoppierte nun langsamer. Vorsichtig richtete sich Runa auf, fand besseren Halt und zog Gisla dichter an sich. Diese presste sich
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