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Tochter des Schweigens

Titel: Tochter des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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Dachstubenmalerei nichts entgegenzusetzen hatte. Selbst Lazzaro sprach im Ton sehnsüchtigen Bedauerns von ihr. Und heute hatte sie ihn, mit einer Art perverser Freude, wieder einmal auf das Thema gebracht.
    Sie hatte ihm so lange geschmeichelt und seine Sinnlichkeit gekitzelt, bis er mit der Eitelkeit des Primitiven die Einzelheiten seiner Affäre mit Ninette Lachaise preisgegeben hatte. Es war kein glänzender Sieg gewesen, doch würde eine kluge Valeria ihn sehr wohl in einen besseren verwandeln können. Liebe war ein Krieg, in dem die Beute den Geschickten und Klugen zufiel – und ein Mann war mit einem Kuß schon halb entwaffnet.
    Vergossene Milch konnte nicht wieder in den Krug gefüllt – verlorene Unschuld nicht zurückgewonnen werden. Aber auch Landon war kein Unschuldiger, und vielleicht – vielleicht. Das kalte Grau früher Dämmerung kroch den östlichen Himmel hoch, als sie sich eilig anzog und leise die Treppe zu ihrem Wagen hinunterstieg. Wenn Basilio aufwachte und merkte, daß sie fort war, würde er erleichtert darüber lächeln, daß er eine Frau gefunden hatte, die die Spielregeln kannte.
    Punkt neun Uhr dreißig am nächsten Morgen kam Carlo Rienzi, um Peter Landon den ersten Bericht zu erstatten. Der Anfang war nicht ermutigend. Anna Albertini war des vorsätzlichen Mordes beschuldigt und in das Frauengefängnis von San Gimignano eingeliefert worden. Carlo hatte mit ihr gesprochen und festgestellt, daß sie ihm kaum von Nutzen sein würde. Die Tat war vollbracht. Sie war zufrieden und wollte nicht mehr davon sprechen. Ihr Mann würde als Zeuge der Anklage auftreten, und niemand in San Stefano würde bereit sein, zu ihren Gunsten auch nur den Mund aufzumachen. Fra Bonifazios Erwartungen hatten sich nicht erfüllt, und Rienzi würde die Kosten für seine beiden Kollegen aus eigener Tasche bezahlen müssen.
    Nur eine einzige Nachricht war erfreulich. Professor Galuzzi ließ mitteilen, er würde sich glücklich schätzen, seinen bedeutenden Londoner Kollegen zu empfangen, um mit ihm informelle Unterhaltungen über die psychiatrischen Aspekte des Falles zu führen. Carlo und Landon waren in seine Räume in der Universität zum Kaffee gebeten.
    Er war Landon vom ersten Augenblick an sympathisch; ein schlanker, großer grauhaariger Mann Ende Vierzig mit einem grauen Spitzbart, goldenem Kneifer und einer ein wenig pedantisch wirkenden Art. Doch hinter dem Klemmer blickten ein paar kluge Augen, und hinter der Pedanterie verbargen sich Schlagfertigkeit und Liebenswürdigkeit. Landon hatte das Gefühl, es mit einem bedeutenden Fachmann zu tun zu haben. Seine Zusammenfassung war präzise und einleuchtend.
    »Es besteht durchaus die Möglichkeit, Herrn Landon als sachverständigen Zeugen der Verteidigung vor einem italienischen Gericht auftreten zu lassen. Ich persönlich würde – und bitte, mißverstehen Sie meine Absicht nicht – davon abraten. Lokale Erwägungen, selbst unter den Richtern, könnten gegen einen ausländischen Sachverständigen sprechen. Andererseits würde ich mich glücklich schätzen, wenn mein verehrter Kollege mit mir an dem Fall als Beobachter zusammenarbeiten würde. Falls mein verehrter Kollege die Verteidigung als Privatmann zu beraten wünscht, so wäre das selbstverständlich seine eigene Angelegenheit.«
    »Sie gehen weiter, als ich zu hoffen gewagt hatte«, sagte Rienzi vorsichtig.
    »Aber Sie verstehen nicht, warum?« Galuzzi sah ihn mit hellen Vogelaugen an. »Wollen Sie das sagen? Ich denke, Herr Landon wird mich vielleicht besser verstehen als Sie. Wir sind beide Mediziner, unsere Hauptsorge gilt der Gesundheit des menschlichen Geistes – sowie der Milderung juristischer Härten in Fällen verminderter Zurechnungsfähigkeit. Mißverstehen Sie mich bitte nicht!« Er hob warnend die Hand. »Im Zeugenstand muß ich alle Fragen nach bestem Wissen und Gewissen beantworten. Ich bin kein Richter. Ich kann nicht bestimmen, welchen Gebrauch das Gericht von meiner Aussage macht. Falls Sie es notwendig finden sollten, andere Gutachter zu bestellen, so würde denen selbstverständlich die gleiche Gelegenheit, die Angeklagte zu untersuchen, eingeräumt werden wie mir.«
    »Es ist ein faires Angebot, Carlo«, sagte Landon warm. »Ich bin geschmeichelt. Ich denke, du solltest dankbar sein. Sagen Sie mir, Professor, haben Sie Anna Albertini schon gesehen?«
    »Noch nicht. Ich werde ihr heute nachmittag meinen ersten Besuch machen. Dabei möchte ich gern allein sein. Später

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