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Tochter des Schweigens

Titel: Tochter des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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und dich zurückrufen. Und jetzt geh heim, chéri .«
    Die alte Stadt lag verzaubert unter dem Sommermond, ihre Säulen silbern, ihre Türme klar, ihre Brunnen voller blasser Sterne. Ihre Glocken schwiegen, und auf den Piazze wimmelte es von freundlichen alten Geistern. Einer davon stellte ihm eine Frage, die er schon einmal gehört zu haben glaubte:
    Was geschieht, mein Freund, wenn deine Welt zusammenbricht?
    In einem Zimmer im dritten Stock, unweit der Porta Tun, lag Valeria Rienzi wach und sah zu, wie die Mondschatten auf den Dächern länger wurden. Neben ihr auf dem zerwühlten Bett schlief Basilio Lazzaro und schnarchte, sein schweres, hübsches Gesicht schlaff vor Befriedigung. Selbst im Schlaf strahlte er so etwas wie eine primitive animalische Vitalität aus. Er war wie ein Zuchtbulle, stolz auf seine Potenz, plump, doch ausdauernd im Bett.
    Und doch – obwohl sie ihn verachtete – tat es ihr nicht leid, daß sie seine Geliebte war. Seine Heftigkeit tat ihr weh, sein Egoismus erweckte ihren Zorn. Und dennoch verfehlte er nie, ihr eine Art Erfüllung zu verschaffen. Er verlangte nicht von ihr, daß sie etwas anderes sein sollte, als sie war, eine anziehende Frau, die im Bett glücklich war und nicht zu viele Fragen über die Liebe stellte.
    Er verlangte nicht, wie Carlo, daß sie die Verführerin spielen oder, wie ihr Vater, daß sie eine Episode in seinem Leben nachleben sollte. Er war so simpel wie ein Tier, und das allein schon war eine Garantie für ihre Freiheit. Sie konnte gehen oder bleiben. Wenn sie blieb, mußte sie den Preis bezahlen. Wenn sie ging, warteten schon zwanzig Frauen darauf, von ihm gerufen zu werden. Er behandelte sie wie eine Hure und ließ sie es auch fühlen. Aber wenigstens wurde sie in nichts verwickelt, was länger währte als eine Nacht.
    Er war ein Partner und zugleich ein Symbol ihrer Auflehnung. Doch würde das Verhältnis zu ihm niemals dauerhaft oder vollkommen befriedigend für sie sein – womit sich der Kreis schloß und sie wieder der Frage gegenüberstand: Was blieb übrig, wenn das Spiel zu Ende war?
    Ihr Vater hatte eine Antwort: eine konventionelle Ehe und Kinder, die ihr erlaubten, mit Anstand zu altern. Doch war diese Antwort zu verstehen aus dem Verlangen des Alters nach Besitz und Beständigkeit. Waren die Kinder erst einmal da, würde er sie an sich fesseln und ihr wie einen Vorwurf vorhalten.
    Carlo? Seine Antwort würde wieder anders lauten. Ehe war ein Vertrag, Liebe ein Tauschgeschäft. Er bot ihr seine Liebe wie einen Blumenstrauß und verlangte, dafür geküßt zu werden. Wenn er seinen Fall oder irgendeinen anderen siegreich beendete, würde er nur noch arroganter werden, doch nicht weniger anspruchsvoll. Seine Forderung war im Grunde brutaler als Lazzaros, der gab und nahm und ging. Carlo liebte sich selber in ihr, wie ein Kind sich in seiner Mutter liebt, und verlangte dafür, egozentrisch wie ein Kind, das Geschenk ihrer Liebe.
    Er selber war voller Unsicherheit, wollte aber bei ihr keine Unsicherheit dulden. Er hatte sich auf seine Weise in Ascolinis Tyrannei ergeben, doch er weigerte sich, einzugestehen, wie viel mehr sie selber dieser Tyrannei ausgesetzt war. Er verlangte, daß sie sich seiner Auflehnung anschloß, und wollte nicht einsehen, daß sie viel subtiler vorgehen mußte. Auch er wollte Kinder – doch als Beweis, nicht als Frucht der Liebe.
    Doch das waren nicht alle Antworten, und sie wußte es. Sie war eigensinnig und verlangte nach Unterordnung, Leidenschaft und Befriedigung. Sie wollte, daß jemand die Ängste teilte, die tief in ihr saßen, jemand, der kühl war und weise, doch nicht väterlich. Jemand, der sich ohne Vorwurf mit den Erinnerungen, deren sie sich schämte, abfand, so daß, wenn die Zeit, zu geben, kam, sie dankbar und frei geben konnte – ob als Frau oder Mätresse, das machte keinen Unterschied.
    Als der Mond unterging und die Schatten die Decke erreichten, dachte sie an Peter Landon und die kurze, leidenschaftliche Begegnung im Garten. Zeit und eine günstige Gelegenheit, und sie könnte ihn bekommen; es sei denn – und der Gedanke gab ihr einen Stich –, es sei denn, Ninette Lachaise eroberte ihn für sich. Peter Landon war nicht der einzige Gegenstand der Eifersucht zwischen ihr und dem Eindringling von jenseits der Grenze. Sie beobachtete schon lange die wachsende Zuneigung, die Ascolini für sie empfand. Sie hatte sein unausgesprochenes Bedauern gespürt, daß seine Tochter Ninettes lockerer

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