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Tochter des Schweigens

Titel: Tochter des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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wird es leichter sein, Sie als ausländischen Experten einzuführen. Aber ich habe eine interessante Information. Wie Sie wissen, wird jeder neue Häftling vom Gefängnisarzt gründlich untersucht, um etwaige ansteckende Krankheiten festzustellen. Anna Albertini ist vollkommen gesund. Außerdem ist sie virgo intacta.«
    Rienzi sah ihn verblüfft an.
    »Aber sie ist seit vier Jahren verheiratet!«
    »Interessant, nicht?« Galuzzis Spitzbart zitterte, während er lachte. »Auch was für Sie, zum Nachdenken, Herr Landon. Und da ist noch etwas. Es sind keinerlei Anzeichen von Depression oder Manie zu beobachten. Keine Ausbrüche, keine Hysterie. Der Gefängnisarzt beschreibt sie als ruhig, gut gelaunt und offenbar zufrieden. Aber wir werden ja sehen.« Er zögerte einen Augenblick und fragte dann:
    »Würden Sie mir einen Gefallen tun, Herr Landon?«
    »Selbstverständlich.«
    »Ihre Arbeit ist hier nicht unbekannt geblieben, und Sie sprechen ein ausgezeichnetes Italienisch. Ich würde gern näher mit Ihnen bekannt werden. Und vielleicht, wenn es Ihnen nicht zuviel ist, könnten Sie einen Vortrag vor meinen höheren Semestern halten.«
    »Mit dem größten Vergnügen. Sie können mich jederzeit in der Pensione della Fontana erreichen.«
    »Das werde ich.« Er kritzelte die Adresse auf einen Notizblock und stand auf. »Und jetzt, meine Herren, muß ich Sie bitten, mich zu entschuldigen. Ich habe in fünf Minuten eine Vorlesung.«
    Auf dem Weg in die Innenstadt konnte Carlo gar nicht genug betonen, wie zufrieden er mit dem Ausgang der Unterhaltung sei. Doch Landon dämpfte seinen Enthusiasmus.
    »Verlaß dich nicht zu sehr darauf, Carlo. Galuzzi gefällt mir ausgezeichnet. Er ist ein angenehmer Mann. Viel freier als die meisten meiner Kollegen. Die Liebenswürdigkeit kostet ihn nichts. Im Zeugenstand, wo es um seinen Ruf geht, wird er stehen wie ein Fels.«
    »Hm«, sagte Rienzi, »sag mal, ist es möglich oder wahrscheinlich, daß deine Diagnose von der Galuzzis abweicht?«
    »Kaum. In einem kompliziert gelagerten Fall können die Meinungen bis zu einem gewissen Grade auseinandergehen. Ich glaube, du nimmst an, jedes anomale Verhalten sei das Symptom einer Geisteskrankheit. Einige wenige Praktiker sind dieser Meinung. Ich bin es nicht. Und ich bin überzeugt, auch Galuzzi ist es nicht. Sollte deine Mandantin geisteskrank sein, werden wir uns in diesem Punkt einig sein – und dein Fall wird keine zwanzig Minuten dauern. Falls nicht – bist du auf mildernde Umstände angewiesen.«
    »Danach suche ich ja gerade. Aber bis jetzt habe ich nur verschlossene Türen angetroffen.«
    »Eine wird vielleicht offen sein.«
    »Welche?«
    »Die von Anna Albertinis Mann.«
    »Er hat es abgelehnt, mit irgend jemand anderem als der Polizei zu sprechen. Und er ist schon wieder nach Florenz abgefahren.«
    »Fahr hin und frag ihn, warum seine Frau nach vierjähriger Ehe noch Jungfrau ist.«
    »Mein Gott!« sagte Rienzi leise. »Mein Gott – es könnte klappen.«
    »Ist immer eine ziemlich sichere Spekulation. Pack einen Mann bei seiner Männlichkeit, und er ist nur zu bereit zu reden. Ob er die Wahrheit sagt, ist freilich eine andere Frage.«
    »Wenn wir erst einmal wissen, was den Vollzug der Ehe verhindert hat, hätten wir ein paar Fragen, die wir Anna selber stellen könnten. Und von da an …«
    »Von da an«, sagte Landon grinsend, »kochst du deine eigene Suppe, Carlo. Ich kann dir helfen, sie umzurühren, aber essen mußt du sie allein – apropos essen: Ascolini hat mich gebeten, mit ihm zu Mittag zu essen. Ich habe ihn gestern abend mit Ninette getroffen.«
    »Der alte, alte Zauber!« sagte Rienzi bitter. »Honig für die Fliegen. Wenn du eine Frau wärst, lägst du vor Sonnenuntergang in seinem Bett. Laß mich nicht im Stich, Peter!«
    Er sagte es mit einem Lächeln, aber Landon wurde sofort wild. »Scher dich doch zum Teufel, Carlo. Wenn du eine einfache Höflichkeit so auslegst!«
    Ohne auf Rienzis Protest zu achten, wandte er sich ab und lief fort, schmutzige Gäßchen entlang, durch die übelriechende Abwässer rannen, bis er atemlos und immer noch zornig den im strahlenden Sonnenschein liegenden Campo erreichte. Es war erst zwölf Uhr, er ging in eine Bar, trank zwei Brandys und rauchte ein halbes Dutzend Zigaretten, die nach gar nichts schmeckten, bis es Zeit zum Essen mit Alberto Ascolini war.
    Er fand den alten Herrn in der besten Ecke von Luca, auf einem roten Plüschstuhl wie auf einem Thron unter einem

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