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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Tod sind eins, und ich gehe nicht sehr weit. Und weil du, mein Sohn, mir besonders teuer bist, will ich deine
Kinder und Kindeskinder schützen. Das Schlagen meines Herzens wird in ihrem Herzen sein. In den Augenblicken großer Gefahr werde ich ihnen in einer Traumvision begegnen. Auf diese Weise können sie sich rechtzeitig retten, bevor das Unglück sie trifft. Doch die Menschen ändern sich, es mag sein, dass sie mich in späteren Zeitaltern nicht mehr erkennen. Darum lehre deine Nachkommen, dass mein Bild die Magie der Zeit kennt und sie sich auf mich verlassen sollen.‹
    Das waren ihre letzten Worte an ihren Sohn. Die Familienchronik weiß zu berichten, dass diese oder jene unserer Vorfahren die Fürstin im Traum gesehen hatten. Und jedes Mal ereignete sich bald nach ihrem Erscheinen etwas Folgenschweres oder Schreckliches.
    Von Okabe Mataemon wird erzählt, dass er bis zum Ende seines Lebens den Verlust des Bauplans beklagte. Seine Schuldgefühle wurden zur Besessenheit. Er glaubte, dass Nobunaga noch am Leben war, dass das Himmelsschloss noch stand und der Bauplan in feindliche Hände gelangen könnte. Seine Tage und Nächte waren von dieser Angst erfüllt. Isaemon versuchte ihm vergeblich klarzumachen, dass der Daimyo tot war und vom Schloss nur noch verkohlte Ruinen übrig geblieben waren. Doch Mataemons Geist war verwirrt. Immer wieder ersuchte er seinen Sohn, das verlorene Dokument suchen zu lassen. Um ihn zu beruhigen, und obgleich er selbst kaum Hoffnung hatte, befahl Isaemon den Spionen des Koga-Clans, den Jesuiten zu stellen und ihn zur Herausgabe des Plans zu zwingen, wenn nötig mit Gewalt. Doch so weit kam es nicht mehr: Hideyoshi, der den missionierenden Jesuiten von Anfang an misstraute, hatte strenge Maßnahmen ergriffen und alle des Landes verwiesen. So kam es, dass Luis Frois bereits Japan verlassen hatte. Mataemon starb, bevor ihm Isaemons Spione diese Nachricht mitteilen
konnten. Und so blieb der Bauplan mehrere Jahrhundert lang unauffindbar. Bis er plötzlich, vor neunzig Jahren, in Jan Letzels Besitz kam und ich unwissende Schülerin die wertvolle Schriftrolle in meinen Händen hielt.«

27. Kapitel
    D ie Stimme der alten Dame, die so lange gesprochen hatte, verklang. Weil es so heiß war in dem Besuchszimmer, war ihr monotoner Klang wie ein Vibrieren des Sonnenlichts, als ob in dieser Helle sonderbare Dinge geschahen, als ob die Stimme ihren Ursprung in den Wänden hatte. Doch als Tante Azai ihre Erzählung beendet hatte, sah ich voller Betroffenheit, wie müde sie dasaß  – nicht mehr kerzengerade, sondern schief, und ihr eingeschrumpftes Gesicht schien wie mit einem Tuch überzogen, spinnwebenfein, sodass kein Schatten das Weiß zu berühren schien. Auf einmal stieß sie einen langen Seufzer aus, eine Art Röcheln, wie ein alter Mensch es beim Aufwachen manchmal tut.
    Â»Oh, oh, oh!«, rief Mia erschrocken.
    Sie goss frischen Tee aus der Thermosflasche in die Schale, kauerte sich neben der alten Dame nieder und hielt ihr das Gefäß an die Lippen. Tante Azai trank, schlürfend und schmatzend, leerte die Schale und ordnete mit tastenden Händen den Ausschnitt ihrer Yukata. Mia nickte mir bedeutungsvoll zu.
    Â»Das war sehr anstrengend für sie.«
    Die runzeligen Lider zuckten.
    Â»Es musste ja mal erzählt werden«, krächzte die alte Dame.
    Mia, die sich offenbar nur mit Mühe beherrschte, hielt es nicht mehr aus.
    Â»Der Bauplan, Tante Azai. Was ist aus dem Bauplan geworden?«

    Â»Der Bauplan, ach ja …« Die Tante verzog die Lippen, schwieg.
    Â»Wenn es ihn überhaupt gibt«, setzte Mia unvorsichtig hinzu.
    Aus Tante Azais Augen schoss ein dunkler, wütender Blitz.
    Â»Ich hatte ihn doch in der Hand! Glaubst du, dass ich geträumt habe?«
    Mia wurde etwas rot, kein Wunder, so heiß war es ja in dem Raum.
    Â»Nein, nein, Tante Azai! Bestimmt nicht.«
    Ich stellte zögernd eine Frage.
    Â»Hat Letzel mit vielen Leuten darüber geredet?«
    Sie ließ ihr übliches Knurren hören.
    Â»Natürlich nicht! Das wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Er war ein Gentleman. Er wusste, dass er etwas sehr Wertvolles besaß. Etwas, das ihm eigentlich gar nicht gehörte.«
    Ich schluckte und hakte nach.
    Â»Könnte es sich nicht … ähm … um eine Fälschung gehandelt haben?«
    Â»Eine Fälschung? Ja, sind Sie von Sinnen?«

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