Tod am Chiemsee (German Edition)
hinter einen der
Tische.
»Ich hab sie gefunden, Tobias lebt, aber bitte machen Sie schnell!«,
flüsterte er hinter vorgehaltener Hand in das Gerät.
Dann fragte Stefan, wo er war – Mist, wo war er hier? Eine
Gaststätte am See mit Terrasse, irgendwo unterhalb des Friedhofs. Wunderbar
präzise. Der Kommissar sagte ihm, er solle das Handy eingeschaltet lassen, er
habe da so eine Ahnung … Gut, dass wenigstens er eine hatte.
»Steh auf!«, hörte Maximilian einen scharfen Befehl, und der Mann
zog Tobias an den Haaren hoch.
»Nein, lass los. Sie ist gar nicht da, sie kann nicht zurückkommen,
sie ist tot … tot.«
»Halt’s Maul.« Böse. Er trat Tobias und stieß ihn vor sich her.
»Hände an ihrem Hals. Hände. Moritz kommt. Und Bluuuut!« Tobias
fuchtelte erregt in der Luft herum. Er drehte sich zu Benedikt Lanz um, der ihn
weiter in Richtung Wasser stieß.
Maximilian sah, dass der Alte etwas in der Hand hielt, er konnte
nicht erkennen, was es war. Hoffentlich beeilte sich der Kommissar! Mensch, was
sollte er bloß machen?
Dann passierte etwas, womit Maximilian nicht gerechnet hatte. Tobias
ging brüllend auf Benedikt Lanz los.
»Nicht töten, nie wieder, nie wieder …« Wie wild schlug er auf
Benedikt Lanz ein.
Dann fiel das Mondlicht auf eine Klinge, und Maximilian sah eine
Hand zustoßen.
»Neeeeiin«, brüllte Maximilian. Den Schirm im Anschlag, setzte er
mit Anlauf über die kleine Mauer, landete unterhalb auf dem Rasen und stürzte
sich auf Benedikt Lanz.
Er schlug zu, wusste nicht, was er traf, bis er etwas hörte, was man
sonst nur im Fernsehen mitbekam: das Geräusch brechender Knochen und einen
Schmerzensschrei.
Maximilian ließ den Schirm fallen und rannte zu der anderen Gestalt,
die reglos am Boden lag. »Tobias?«
Was tat man als Erstes, was hatte Schwester Althea bei seiner Oma
gemacht? Nach dem Puls gefühlt. Aber Maximilian berührte keine Haut, da war nur
etwas Warmes, Klebriges, das über seine Finger lief.
»Bitte nicht sterben, bitte, bitte … Herr Kommissar!« Er schrie
seine Angst laut hinaus, es war ihm gleich, wer ihn hörte. Hauptsache,
irgendjemand.
Konnte er die Blutung stoppen? Er hatte so etwas schon mal im
Fernsehen gesehen, aber hier war das etwas völlig anderes. Maximilian zog
seinen Gürtel aus den Schlaufen der Jeans und nahm seinen spärlich bestückten
und darum nicht sonderlich dicken Geldbeutel aus der Hosentasche.
»Wenn jemand weiß, wie das geht, ich hör zu«, sagte er. Am höchsten
Punkt des Körpers abbinden, war das nicht so? Sicher war er nicht, aber nichts
tun ging auch nicht. »Also los«, redete er sich zu, legte den Geldbeutel um
Tobias’ rechten Oberarm und zog den Gürtel darum fest. Eine Hand behielt er am
Gürtel, die andere fühlte, ob noch Blut aus der Wunde kam.
»Ein bisschen, vorher war’s schlimmer«, versuchte er sich zu
beruhigen.
Tobias murmelte etwas, und Maximilian war heilfroh, dass der Mann
noch lebte. Hinter ihm bewegte sich plötzlich etwas. Maximilian wandte den
Kopf.
55
Blutwurz (Potentilla erecta)
Standort: Sonnig bis halbschattig, zu finden in lichten Wäldern, auf Magerrasen und
Flachmooren.
Wirkungsweise: Besonders die Wurzel der Pflanze ist sehr gerbstoffhaltig und hat wie die
Ratanhia-Wurzel eine stark adstringierende Wirkung. Ein großer Vorteil
gegenüber Ratanhia ist, dass es sich beim Blutwurz um eine heimische Heilpflanze
handelt.
Wissenswertes: Früher war die Pflanze zur Behandlung von blutenden Wunden geschätzt, daher der
Name. Sie ist auch unter dem Namen »Tormentill« bekannt.
Sie hörten den Schuss, der die Inselstille explosionsartig
zerriss. Kath hatte Friederike gerade die zweite Dosis Atropin gespritzt und
die Injektionsnadel aus dem Arm gezogen. »So viel Kälte in dieser Nacht und so
viel Mut«, sagte Kath, doch im Augenblick begriff nur sie allein den Inhalt der
Worte.
Althea riss die Tür auf und machte sie hinter sich wieder zu. Sie
musste nachsehen. Es dauerte schon so lange, viel zu lange …
In den letzten Minuten war ihre Unruhe gestiegen wie die
Quecksilbersäule eines Thermometers an einem heißen Sommertag. Woher war der
Schuss gekommen, hatte er jemanden getroffen?
Althea rannte stolpernd Richtung Wasser, stürmte hinter dem
Gästehaus einen Rasenhügel hinunter, bis zu den privaten Anlegestellen.
Ihr Gehör und ihr Gespür hatten sie nicht getrogen.
Das kleine Tor stand offen, und hinter den Tischen und Stühlen aus
Holz und Stahl waren Menschen. Sie sah Stefan, er
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