Tod am Laacher See
anfangen, vielleicht die Sichtweise ändern und ein offeneres
Bewusstsein auch für kleine Details entwickeln. Er war zermürbend, dieser
Rückschlag. Selbst Trobisch, der nun zumindest mit einer Verurteilung des
Schützen rechnen konnte, der ihn verletzt hatte, konnte diesem Teilerfolg nur
minimale Genugtuung abgewinnen. Die meisten hatten wohl das Gefühl, eine
Abraumhalde mit feinem Sieb durchgehen zu müssen, um doch noch diese verdammte
Stecknadel aufzuspüren.
Auch für Wärmland war der Tag eigentlich schon gelaufen. Er war
unkonzentriert und fahrig und fragte sich, welche Chancen sie jetzt noch
hatten, den richtigen Täter in die Hände zu bekommen.
Regine Nau trat ein. »Eben ist ein Anruf von einer Beatrice Neefges
eingegangen«, sagte sie. »Sie hat ihren Exfreund tot in dessen Wohnung
aufgefunden. Der Mann heißt Malchow, Kevin Malchow.«
Wärmland kam der Name irgendwie bekannt vor, und er suchte in seinen
Erinnerungen nach einem passenden Zusammenhang. Dann kam die Erkenntnis. »War
das nicht der Name dieses Transporterfahrers, der im Frühjahr am Laacher See in
den Unfall mit der dreiköpfigen Familie verwickelt war?«
Regine Nau schaute zweifelnd. Sie hatte den Namen nicht mehr parat.
»Kann schon sein, Chef. Ich weiß nicht mehr.«
»Also fahren wir raus und schauen uns das an. Wo müssen wir hin?«
»Die Wohnung liegt in Thür.«
»Na, das schaffen wir doch zu Fuß.« Wärmland bemerkte den
erschrockenen Gesichtsausdruck seiner Kollegin und winkte amüsiert ab. »Keine
Sorge. So weit wird es nicht kommen. Mein linker Huf hat immer noch ein
Problem, seit ich beim Basketball mit meinem Sohn umgeknickt bin.«
Regine Nau nickte erleichtert.
»Hat die Anruferin noch was gesagt?«, wollte Wärmland wissen.
»Nicht so richtig. Sie muss wohl sehr aufgeregt gewesen sein.«
»Und sie hat gesagt, dass sie die Ex ist? Sie wird ihn doch nicht
etwa im Streit selbst –« Wärmland unterbrach seinen Satz. »Schauen wir uns das
erst mal an.«
***
Die Wohnung lag in der Segbachstraße in Thür, einer ganz
normalen Dorfstraße mit gemischtem Hausbestand. Überwiegend einstöckige Häuser
mit ausgebautem Dach, unter dem in der Regel zwei bis vier Parteien wohnten.
Das Haus, das sie suchten, das mit der Hausnummer 149, besaß allerdings
zwei Vollgeschosse mehr. Ein Mann in mittleren Jahren und eine etwa
zwanzigjährige junge Frau mit langen dunklen Haaren standen vor der
Haupteingangstür und erwarteten sie. Wärmland grüßte knapp im Vorbeifahren und
parkte den Land Rover ein paar Meter weiter auf der rechten Seite zwischen
einem gewaltigen Blumenkübel und einem alten beigefarbenen Opel aus den
Sechzigern, der schon Oldiestatus besaß.
Sie gingen auf die beiden zu, stellten sich vor, und man begrüßte
sich mit einem knappen Handschlag. Der Mann neben Beatrice Neefges war der
Vermieter des Opfers, ein Herr Claasen, der im Haus direkt gegenüber wohnte.
Wärmland fixierte die junge Frau, die sichtlich nervös war, aber auch erschöpft
wirkte. Das war nur zu verständlich in Anbetracht der Umstände. Er fragte sich
jedoch, ob ihre Beklommenheit tiefere Wurzeln hatte als nur die, die sich durch
das Auffinden der Leiche ergeben hatten.
Während sie die Treppe hinaufstiegen, fragte Wärmland, ob einer der
beiden irgendetwas verändert oder angefasst hatte. Sowohl Herr Claasen als auch
Frau Neefges verneinten. Wobei der Vermieter bemerkte, dass man ja ständig im
Fernsehen zu sehen bekäme, wie die Polizei bei der Arbeit vorging, und dass es
auch da immer als unerwünscht dargestellt wurde, wenn Zeugen etwas an einem
Tatort berührten oder veränderten. Wärmland stimmte dem zu, schenkte sich aber
den Hinweis, dass Fernsehfilme oft nur sehr bedingt reale Polizeiarbeit
wiedergaben.
Im ersten Stock befanden sich zwei Wohnungstüren, und der Vermieter
schloss die rechte davon auf. Wärmland ging durch den kleinen Flur geradeaus
zur nächsten Tür, die halb offen stand. Er betrat den Raum, der offensichtlich
als Wohnraum genutzt worden war. Rechts lag eine leblose männliche Gestalt am
Boden vor der geöffneten Tür zu einem weiteren Raum, dem Schlafzimmer. Es war
offensichtlich, dass der junge Mann tot war. Er lag auf dem Rücken, aber sein
Kopf war zur Seite gedreht, und die Augen schauten mit starrem, trübem Blick
ins Leere.
Im ersten Augenblick erkannte Wärmland noch keine Verletzungen. Als
er näher an die Leiche herantrat, entdeckte er jedoch ein großes Hämatom an der
linken Schläfe des Toten, in
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