Tod an der Förde
und Fischstäbchen. Bääh. Nur mein Feierabendköm ist
mir geblieben.«
Vor seinem geistigen Auge sah Lüder, wie sein Vater
mit langen Zähnen vor dem Teller saß und lustlos im Essen herumstocherte. Er,
der Liebhaber deftiger holsteinischer Küche, hatte »dies’m neumodischen Krams«
noch nie viel abgewinnen können. Für ihn bestand eine »richtige« Mahlzeit aus
einem reellen Stück Fleisch, Kartoffeln, heimischem Gemüse und, was besonders
wichtig war, brauner Soße. Und überhaupt nicht mehr vom Esstisch abzubringen
war der alte Lüders während der Grünkohlzeit. Umso ärger musste es ihn treffen,
wenn Oma, wie Lüders Vater seine Frau nannte, jetzt beim Kochen ausschließlich
auf die Wünsche der Kinder einging.
»Und sonst? Benehmen sie sich?«
»Klar. Heute war’n wir anne Ostsee im Hansaland. Morgen
geht’s nach Hagenbeck.«
»Zu Hagenbeck«, korrigierte Lüder seinen Vater,
wissend, dass sich nun ein eingeübtes Ritual abspielen würde.
»Fängst du schon wieder damit an? Wir ha’m dich doch
nicht studieren lassen, damit du unser altbewährtes Deutsch verhunzt. Das heißt
›nach Hagenbeck‹. So ha’m wir das seit hundert Jahren gesagt.«
Vater Lüders, der Zimmermeister im Ruhestand, war
immer bodenständig geblieben und sprach so, wie ihm der Schnabel gewachsen war.
Dazu gehörte auch das Holsteiner Platt, dass seine Generation im Umgang
untereinander immer noch pflegte.
»Mal was anderes«, wechselte der alte Lüders das
Thema. »Ist ja klar, wenn die Gören es dem Vater nachmachen und mit Pistolen
spielen. Aber musst du deinen Kindern auch Handgranaten geben? Das geht ein
büschen zu weit. Ich hab dem Jonas das Ding weggenommen. Bei mir dürfen sie mit
so was nicht spielen.«
»Was sagst du? Eine Handgranate? Von mir hat er die
nicht. Wie sieht das Ding aus?«
»Wie ‘ne Handgranate. So’n leeres Ding, wie’s der Bund
zum Üben nutzt.«
Lüder war mit einem Mal hellwach.
»Das interessiert mich. Ruf mir den Jonas doch mal
bitte ans Telefon.«
Vater Lüders rief den Jungen. Der Alte musste die
Aufforderung mehrfach wiederholen, weil sich zwischendurch aus dem Hintergrund
die Kinderstimme meldete: »Hab jetzt keine Lust.«
Schließlich kam der atemlose Jonas aber doch an den
Apparat.
»Was gibt’s?«
»Du hast mit einer Handgranate gespielt?«
»Ja. Aber die hat mir Opa weggenommen.«
»Woher hast du die, Jonas?«
»Die hat mir so’n Mann geschenkt, als ich vorhin vom
Bäcker zurückgekommen bin. Weißt du was …?«, wechselte der Junge aufgeregt das
Thema und begann ansatzlos vom Besuch des Erlebnisparks an der Ostsee zu
berichten.
Lüder hörte eine Weile schweigend zu. Er verstand das
Zeichen richtig. Die unbekannten Gegner hatten ihm damit signalisiert, dass sie
wussten, wo sich seine Kinder aufhielten. Sie gaben ihm damit zu verstehen,
dass sie jederzeit Herr über die Situation waren. Ein Schauder erfasste ihn.
Diesmal war es eine Übungshandgranate gewesen. Über die Brutalität der
Gegenseite machte er sich keine Illusionen. Die schreckten im Zweifelsfall auch
nicht vor Unschuldigen zurück.
»Hallo? Hörst du mich?«, wurde er durch seinen Vater
aus seinen Gedanken gerissen.
»Ja, alles klar. Sei mir nicht böse, aber ich muss
jetzt wieder arbeiten. Vielen Dank für eure Hilfe. Und … passt gut auf die drei
auf.«
»Da kannst du sicher sein.«
Dann verabschiedeten sie sich.
Kurzfristig dachte Lüder daran, Personenschutz für
seine Familie anzufordern. Aber wie hätte er das begründen sollen? Offiziell
waren sie nicht mehr mit dem Fall betraut. Und irgendwo steckte in ihren
eigenen Reihen ein Maulwurf, sodass ein wirksamer Schutz nur schwer möglich
gewesen wäre.
Anschließend fuhr er ins Krankenhaus. Margit lag in ihrem
Bett und blätterte lustlos in einer Illustrierten.
»Hallo«, sagte sie matt.
Er küsste sie auf die Stirn.
»Hallo, meine Kleine. Wie geht’s?«
Sie winkte ab. »Ich will hier raus. Weißt du schon,
wer das war?«
Er nickte, um sie nicht weiter zu beunruhigen.
»Ja. Es war der Racheakt eines kleinen Ganoven, den
ich früher einmal dingfest gemacht habe. Der ist so harmlos, dass er für das
Eindringen bei uns nicht einmal festgenommen wurde. Er hat einen festen
Wohnsitz und wird sich künftig anständig benehmen, da ihn die Kollegen ins
Visier genommen haben.«
Sie zeigte den Anflug eines Lächelns. Ihr war sichtbar
ein Stein vom Herzen gefallen.
»Gott sei Dank. Ich hatte schon befürchtet, da würde
etwas Ernsthaftes
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