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Tod an der Förde

Tod an der Förde

Titel: Tod an der Förde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nygaard
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ins bürgerliche Schema passenden
Meinung auftreten und skeptisch gegenüber Dingen sind, die an der Mehrheit der
Mitbürger unbemerkt vorbeiziehen, gelten Sie auch in unserer Demokratie als
Außenseiter, dessen Agieren es zu beobachten gilt. Der Pluralismus hat dort
seine Grenzen, wo er für die Leute, die die Fäden ziehen, unbequem wird.«
    Lüder war überrascht, wie gestelzt sich der Lehrer
ausdrückte.
    »Dieser Gedankenaustausch könnte interessant werden,
aber heute bin ich in offizieller Mission hier. Spannender als weltanschauliche
Fragen ist für mich, wo ich Ihren argentinischen Gesinnungsgenossen finde.«
    Potthoff-Melching setzte sich auf seinem Stuhl gerade.
    »Gesinnungsgenosse? Das klingt negativ.«
    »Also schön. Ich suche Ihren Mitstreiter.«
    Potthoff-Melching sah Lüder eine Weile nachdenklich
an. Es wirkte fast ein wenig traurig.
    »Jesus wohnt bei mir.«
    Lüder war ein wenig überrascht. Er würde morgen
Hauptkommissar Vollmers fragen, ob ihm etwas von homosexuellen Neigungen
Potthoff-Melchings bekannt war, obwohl das kaum im Zusammenhang mit diesem Fall
stehen dürfte. Es sei denn, er hätte sich in eine Abhängigkeit begeben, und
Urquía oder mögliche Hintermänner hätten mit einem Coming-out gedroht, was für
Potthoff-Melchings Tätigkeit als Lehrer vielleicht Nachteile bringen würde. Es
kam vor, dass Menschen durch Erpressungen solcher Art zu Taten gezwungen
wurden, die sie unter anderen Umständen nie begehen würden.
    »Ist Ihr Gast zu sprechen?«
    Der Lehrer schüttelte den Kopf. »Bedaure, aber er ist
heute früh aus dem Haus.«
    »Wohin?«
    Potthoff-Melching legte die Fingerspitzen aneinander
und betrachtete seine schlanken Hände. Dann sah er auf und blickte Lüder an.
Erneut dieser traurige Blick.
    »Sehen Sie, genau das ist es. Wieso interessiert sich
die Polizei für die kleinsten Dinge im Leben der Bürger? Nur weil wir nicht mit
den Wölfen heulen und gegen den Irrsinn einer ausufernden Waffenproduktion
sind?«
    »Ich fürchte, Sie überschätzen sich und Ihre Mission.
Der Staat jagt nicht Sie, sondern feige Mörder. Und dabei wird er sich
nicht durch irgendeine politische Gesinnung beeindrucken lassen, mag sie für
den Einzelnen nachvollziehbar, weltfremd oder schlichtweg wirr sein. Es könnte
für Jesus Raúl Urquía gute Gründe geben, sich gegen sein Vaterland zu stellen.
Der ermordete Commodore war Offizier und in einem Alter, dass er während der
Militärdiktatur schon im aktiven Dienst war. Wir wissen beide, dass diese
schwarze Epoche in Argentiniens Geschichte bis heute nicht aufgearbeitet ist
und man erst jetzt unter dem neuen Präsidenten darangeht, die Vergangenheit zu
bewältigen. Die Vorgänger Néstor Kirchners haben den uniformierten Tätern
großzügig Amnestie gewährt. So könnte Urquía Angehöriger eines Opfers der Militärs
sein, der sich jetzt rächen will. Wer sagt uns denn, dass der Commodore nicht
in solche Taten verstrickt war? Also! Wo finde ich Urquía?«
    »Das ist doch lächerlich. Sie glauben nicht im Ernst,
dass ein junger Mensch, der an der altehrwürdigen Kieler Universität studieren
will, nur deshalb nach Europa kommt, um einen Angehörigen zu rächen?« In
Potthoff-Melchings Stimme schwang Entrüstung mit.
    »Was wissen Sie über die Familie Urquías?«, fragte
Lüder.
    Der Lehrer blieb die Antwort schuldig.
    »Sehen Sie? Nichts! Wenn man zusammenwohnt und viel
Zeit miteinander verbringt, ist es doch natürlich, auch einmal etwas
Persönliches zu erzählen. Oder?«
    Lüder erkannte am hilflosen Blick seines Gegenübers,
dass er ins Schwarze getroffen hatte.
    »Jesus ist am Wochenende oft am Bahnhof, um sich dort
Zeitungen zu besorgen«, sagte Potthoff-Melching schließlich. »Er müsste bald
zurück sein. Wollen Sie noch warten?«
    Lüder schüttelte den Kopf.
    »Vielen Dank, aber das Gespräch mit Ihnen war so
aufschlussreich, dass ich mir für heute die Unterredung mit Urquía sparen kann.
Ich glaube, von dem hätte ich nicht das erfahren, was Sie mir erzählt haben.«
    Potthoff-Melching sah ihn ratlos an. Der Mann hatte
nicht verstanden, welche Geheimnisse er unwissentlich dem Polizisten anvertraut
hatte. Mit verstörtem Blick begleitete ihn Potthoff-Melching zur Tür.
    Vor dem Haus atmete Lüder tief durch. Es war nicht
auszuschließen, dass persönliche Rache das Motiv für den Mord an Commodore
Hernandez war. Das Facón als Tatwaffe wäre ein Hinweis darauf. Warum aber
hatten der oder die Täter Staatsanwalt Kremer auf solch

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