Tod an der Förde
das?«
Lüder hatte nur eine Vermutung ausgesprochen, aber der
Treffer war angekommen.
»Wir sind die Polizei«, sagte er ausweichend.
Der Argentinier spielte nervös mit seinen Fingern,
bevor er aufsah.
»Was hat das für Folgen?«
»Altrogge hat Strafanzeige wegen Sachbeschädigung
erstattet. Gehen Sie zu ihm; sprechen Sie mit ihm. Sagen Sie, dass es Ihnen
leidtut und Sie den Schaden ersetzen. Vielleicht zieht Herr Altrogge die
Anzeige zurück.«
Urquía atmete tief durch.
»Das war dumm von mir. Ich möchte dem Mann gern unsere
Idee erklären, aber das Auto zerkratzen oder die Kinder einschüchtern … Ich
fürchte, da bin ich am Ziel vorbeigeschossen.«
Mit mahnenden Worten entließ Lüder den Argentinier.
Anschließend bat er den chilenischen Journalisten zum
Gespräch. Er wählte diese höfliche Form, da objektiv nichts gegen da Silva
vorlag. Zu Lüders Überraschung war der Chilene nicht ungehalten.
»Haben Sie Verwertbares erfahren?«, fragte da Silva
neugierig. Lüder ließ die Frage unbeantwortet.
»Für welche Zeitung in Chile arbeiten Sie?«
»Ich bin freier Journalist und versuche, meine Artikel
breit gestreut zu vermarkten«, wich da Silva aus.
»Können Sie mir Beispiele nennen?«
Da Silva fingerte in seiner Hosentasche und zog eine
Zigarettenschachtel hervor.
»Darf ich hier rauchen?«
»Ungern«, erwiderte Lüder. »Also, wo sind Ihre
Berichte bereits erschienen?«
»In vielen Zeitungen. Was bringt es, wenn ich Sie
jetzt aufführe?«
Lüder sah ein, dass da Silva keine Namen nennen
wollte. Unter Berücksichtigung der von Urquía vorgebrachten Beschuldigung, da
Silva sei gar kein Journalist, nahm Lüder sich vor, dies eingehender zu prüfen.
»Warum hat Urquía so heftig reagiert, als er Ihnen
vorhin auf der Straße begegnet ist?«
Da Silva winkte ab.
»Er ist ein hitziger junger Mann. Der Kopf ist voller
Ideale. Das bewerte ich nicht über.«
»Und warum haben Sie ihn verfolgt?«
Der kleine Chilene lachte.
»Mich interessiert die Friedensbewegung, insbesondere
da sie gegen Argentinien gerichtet ist. Vergessen Sie nicht, dass dieses Land
der Aggressor in unserer Region ist. Nicht Chile.«
Lüder wiegte den Kopf. »Sie sollten nicht zu sehr mit
Steinen werfen. Auch in Chile gab es eine Diktatur unter Pinochet.«
Da Silva lachte und zeigte dabei zwei Reihen gelber
Zähne. »Das können Sie nicht miteinander vergleichen.«
Lüder war nicht danach zumute, das Für und Wider
zweier südamerikanischer Diktaturen zu diskutieren. Da Silva schien es bemerkt
zu haben.
»Ich denke, Sie sind über die Situation in Südamerika
informiert?«
Nachdem Lüder genickt hatte, fuhr der Chilene fort: »Da ist es meine journalistische Pflicht, die Geschehnisse in Argentinien und
die Auswirkungen der Politik des Landes zu beobachten und in einer freien Presse,
die wir jetzt in Chile haben, darüber zu berichten. Dazu gehören auch die
Aktionen der Friedensbewegung.«
Da Silva wischte sich mit dem Handrücken über den
Mund.
»Natürlich gab es immer schon kritische Stimmen in
Südamerika. Die Familie Urquía hat, soweit mir bekannt ist, eine lange
linksliberale Tradition. Kluge Köpfe, darunter Ärzte und Künstler. Der Vater
unseres studentischen Hitzkopfs hat an der Universität von Quilmes Literatur
gelehrt, bis er eines Tages von Unbekannten abgeholt wurde. Der damals noch
sehr kleine Jesus Raúl war Augenzeuge. Er hat seinen Vater nie wiedergesehen.
Keiner weiß, was mit ihm geschehen ist, obwohl es sich jeder denken kann. Haben
Sie schon einmal von den Müttern der Plaza de Mayo gehört? Das sind Frauen,
Mütter, Töchter, die bis heute im Ungewissen über das Schicksal ihrer
Angehörigen sind. Eigentlich müsste auch die Familie Urquía darunter sein. Hass
und Rache sind überall auf der Welt starke Motive.«
»Wollen Sie damit andeuten, dass Sie Urquía und die
Friedensbewegung für das verantwortlich machen, was derzeit hier in Kiel
geschieht?«
Da Silva zog die Mundwinkel herab.
»Ich würde diesen Gedanken nicht unbedingt
ausschließen wollen. Aber das ist noch nicht alles. Die Friedensbewegung hat
keinen Zutritt zum Werftgelände. Das ist zu gut abgeschirmt. Folglich muss es
dort Helfer geben.«
»Wen haben Sie im Verdacht?«
Der Chilene zuckte mit den Schultern.
»Das ist schwer zu sagen. Kann ich Ihnen vertrauen?«
Lüder sah da Silva nachdenklich an. Woher hatte der
kleine Chilene diese Informationen? »Natürlich können Sie mir Vertrauen
schenken«, sagte er.
»Warten
Weitere Kostenlose Bücher