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Tod auf der Donau

Titel: Tod auf der Donau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michal Hvorecky
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Vielleicht sind Frauen deshalb auch so gute Übersetzerinnen. Es ist jedoch ein undankbarer Beruf, einsam, anstrengend. Bei den feierlichsten Premieren der anspruchsvollsten Theaterstücke, wo sich auf der Bühne neben Regisseur und Schauspielern alle bis zum Souffleur verneigen, wirst du den Übersetzer niemals sehen.«
    »Warum bist du hier? Du bist an Bord bestimmt der Einzige mit Hochschulabschluss.«
    »Du vergisst den Kapitän.«
    »Den Alkoholiker? Na ja, die Schifffahrtshochschule in Děčín. Entschuldige, doch das kannst du nicht vergleichen.«
    »Dieses Studium ist lehrreicher als die Literatur. Ein Uni-Abschluss ist mir hier beinahe im Weg.«
    »Wieso arbeitest du auf der Donau?«
    »Wegen des Geldes.«
    »Nur? Das glaube ich nicht, dafür kenne ich dich viel zu gut.«
    »Willst du es wirklich wissen?«
    »Mehr als alles andere.«
    »Dann muss ich dir allerdings die ganze Geschichte erzählen.«
    Er ließ seinen Worten freien Lauf, vor dem Bullauge strömte die Donau. Bei Jochenstein (ein Ort mit einem österreichischen und einemdeutschen Ufer) thronte unter der Talsperre die Statue des heiligen Johannes auf einem Felsen; dort hat man früher die Matrosen getauft. Bald schon würde die atemberaubende Schlögener Donauschlinge zum Vorschein kommen.

9. HIMMEL, HÖLLE UND FEGEFEUER
    Nach dem Gymnasium entschloss sich Martin, Übersetzer zu werden und Französisch und Italienisch zu studieren. Der Vater war dagegen, und die Mutter mahnte: Er werde wenig verdienen, nie eine hohe Stellung erreichen, selbst wenn er Tag und Nacht arbeite, er werde nie mit dem Geld auskommen … In seiner Familie hatte noch nie einer studiert. Bei den Aufnahmegesprächen lief es ganz gut (er wurde Dritter), und somit nahm er mit zwanzig Jahren sein Studium auf, an der philosophischen Fakultät der Universität Bratislava. Die Eltern waren schockiert, doch die Zeit brachte ständig irgendetwas Schockierendes auf.
    Sobald das Semester begonnen hatte, zog er von zu Hause aus: ein riskantes Unterfangen, doch hatte er keine andere Wahl. Er fand eine billige Einzimmerwohnung, und um diese zu finanzieren, jobbte er. Doch seit er an der Uni war, erfüllte ihn ein Triumphgefühl. Im ersten Jahrgang waren sie noch 17 Studenten, im zweiten neun und im fünften – dem letzten – nur noch vier. Die Vorlesungen besuchte eine bunte Schar – Sprachfanatiker, abtrünnige Kinder hochgebildeter Eltern und ambitionierte junge Frauen, die sich bereits als Dolmetscherinnen im Europäischen Parlament sahen.
    In den ersten zwei Studienjahren verschlang er unzählige Bücher. Er las überall, sogar beim Essen in der Mensa. Er war überzeugt davon, sein Wissen später in die Übersetzungen einfließen lassen zu können. Er fühlte sich wie der Autodidakt aus Sartres
Ekel
, der die Bücher der öffentlichen Bücherei von A bis Z durchexerziert hatte; und er empfand auch Ähnlichkeiten mit dem Sinologen Peter Kien aus Canettis
Blendung
, der 25.000 Bände besaß und auf seine Bibliothek genauso stolz war wie ein Soldat auf sein Bataillon.
    Das studentische Gemeinschaftsleben lockte ihn nur wenig, doch natürlich war ihm klar, dass ein Mensch nicht für die Einsamkeit geschaffen war. Am Samstagabend gab es stets einen gemeinsamen Umtrunk. Martin trank gerne, betrank sich aber niemals, selbst die Gesellschaft von Betrunkenen war ihm ein Graus. Die fruchtlosen Debatten und das Schubladendenken in politischen Belangen gingen ihm ordentlich auf die Nerven. Vor seinen Augen schritten Paare (Hand in Hand) zu Vorlesungen und Seminaren, in die Bibliothek und ins Kino und später dann auf ihre Zimmer. Martin hatte keine große Lust auf Bekanntschaften. Eine Kommilitonin verliebte sich in ihn. Etwa einen Monat nachdem sie sich in einer Gruppe kennengelernt hatten, sprach sie ihn an und gab ihm zu verstehen, dass sie Lust auf tiefergehende Gespräche hätte und auch sonst noch an anderen Themen interessiert wäre; Martin, der seit Jahren keinen weiblichen Körper mehr berührt hatte, ließ sich darauf ein. Ab und zu küssten sie einander. Sie konnte sogar eine Andeutung von Erregung in ihm wecken, also schliefen sie einige Male miteinander. Sie schrieb ihm einen achtseitigen Brief (per Hand!), was ihn in den Zeiten von E-Mail zutiefst beeindruckte. Doch er wies sie zurück – entschieden, aber einfühlsam. Er dachte sich, sie könnten Freunde bleiben, irrte sich allerdings gehörig.
    Im sechsten Semester kam er zum legendären Professor Miroslav Rovan, der eine

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